Katy Perry, Schlagobersprinzessin
Auf dem Cover zu ihrem Album „Teenage Dream“ posiert Katy
Perry als schmachtender Nackedei auf einer Wolke, die als rosafarbene Zuckerwatte
womöglich den siebten Himmel verheißen soll. Im Inneren des mit Kirschwasser
parfümierten Booklets gibt sich die betont süße Sängerin mit ihrem aus
Zuckerstangen und Fruchtgummis geformten Krönchen inmitten mannshoher
Hochzeitstorten der geiligen Sorte als Schlagobersprinzessin für uns hin. Die
ähnlich ausstaffierten Bühnendesigns der Sängerin oder ihr Musikvideo zur
Single „California Gurls“ lassen keinen Zweifel daran, dass hier jemand drauf
und dran ist, dem US-Künstler Jeff Koons in Sachen Kitsch den Rang abzulaufen.
Mit dem auf die Kunst der süßen Versuchung spezialisierten
New Yorker Maler Will Cotton, dessen Lieblingswort einer Episode des „Arte“-Formats
„Durch die Nacht mit ...“ zufolge „amazing“ ist, hat sich Katy Perry den
denkbar besten Art-Director für ihr Anliegen ausgesucht. Mit erheblich mehr Saccharose
und deutlich weniger Porno-Ästhetik als in Koons Arbeiten sei schließlich auch
daran erinnert, dass das Kernpublikum des Popstars noch bevorzugt heiße
Schokolade trinkt. Ansonsten leitet sich der Kitsch-Begriff bei Katy Perry aus
dem Jiddischen ab. „Verkitschen“ bedeutet dort, „jemandem etwas andrehen, was
dieser nicht braucht“.
Bryan Ferry,
Stilikone
Wer, wie, was – Bryan Ferry? Den ewigen britischen Dandy und
Tory-Fan mit Arbeiterklassen-Vergangenheit bringt man besser nicht mit Kitsch
in Zusammenhang. Schließlich wähnt sich der 1945 geborene Sir und Gentleman, eine
Stilikone zu sein. Wie sein Konzert in der Wiener Staatsoper im Juli dieses
Jahres bewies, ist dem Sänger diesbezüglich auch kaum etwas anzuhaben. Aber!
Wo Stil im großen Stil ausgestellt wird, hat man es nicht
selten mit einer Gratwanderung zu tun. Bei Bryan Ferry kündet die Spätphase
seiner Band Roxy Music und der leicht schmierige Art-Pop des Albums „Avalon“ davon.
Nicht genug damit, dass das im Titelstück verwendete Saxofon für einen Sound
einsteht, der dem einschlägiger Softpornos nicht vollkommen unähnlich ist, greift
das Musikvideo auch bildhaft tief in die diesbezügliche Klischeekiste. Bryan
Ferry bezirzt mit weißem Sakko, schwarzer Fliege und einem Turmfalken am Arm
als vermuteter Schlossherr ein Topmodel. Dieses tänzelt im rosafarbenen
Kleidchen gar leichtfüßig durch den Südwestflügel des Anwesens. Jetzt kommt
gleich das Saxofonsolo! Kitsch bedeutet, dass geklotzt und niemals gekleckert
wird. Verschwenden, verschütten. Dick auftragen. Die Achtziger-Jahre waren eine
Zeit, in der nicht weniger, sondern nur mehr auch wirklich mehr war. Stichwort
George Michael!
George Michael, Goldketten-Träger
Ebenso wie bei Bryan Ferry spielt auch bei George Michael
das Saxofon-Solo eine tragende Rolle. Man erinnere sich etwa an seinen Hit
„Careless Whisper“, der schlüssig erklärt, dass Mainstreamerfolge und
augezeichnetes Songwriting einander nicht ausschließen müssen.
Allerdings bringt „Careless Whisper“ in der Bridge einen
Sound ins Spiel, der auf heute verpönte, von postmodernen Zeitgeist-Produzenten
– anything goes! – aber erst recht wieder aufgegriffene Käsekeyboards
zurückgeht. Diese waren für die Anfänge George Michaels mit seiner
Yuppie-Pop-Band Wham! noch weitaus bedeutender. Vor allem das Video zu deren
Weihnachtssong „Last Christmas“ prägte mit dem Sänger in der Blütezeit seiner
Föhnfrisuren-Phase plus Goldkette und Ohrring eine gewisse Ikonografie. Der
weiße Bade-Tanga im „Club Tropicana“ lieferte die sommerliche Entsprechung. Am
21. November bringt der Barde im Rahmen seiner „Symphonica Tour“ den mehr als
nur zarten Schmelz seines Œuvres live in die Wiener Stadthalle.
Jay-Jay Johanson, Ästhet
und Schmerzensmann
Es ist einigen der ernstzunehmenderen Songwritern der
jüngeren Zeit zu verdanken, dass Kitsch nicht mehr nur negativ konnotiert ist. Sowohl
Anthony and the Johnsons, Rufus Wainwright oder Scott Matthew überführen das
schöne Leid an der Welt mit barockem Gestus zu tatsächlicher Kunst. Der
schwedische Schmerzensmann Jay-Jay Johanson ist vor diesem Hintergrund ein
erstaunlicher Spezialfall.
Wie Songtitel wie „It Hurts Me So“, „She’s Mine But I’m Not
Hers“ oder „Alone Again“ bereits nahelegen, ist Johanson dem Liebesleid
anheimgefallen. Dieses wird Trip-Hop-affin und bevorzugt an der Schnittstelle
zwischen Jazz und Pop so süßlich vertont, dass stets akute Sodbrandgefahr
besteht. Dominiert von Johansons Stimme, die auf eine mögliche Dauerbehandlung
mit Öl und Honig schließen lässt, und üppigen Soundteppichen aus dem Keyboard ist
dabei immer alles viel zu viel. Im Wissen darum und davon überzeugt, dass ein
Mann tun muss, was ein Mann tun muss, entsteht die Kunst dabei nicht nur aus
der Konsequenz. Ähnlich wie bei Jochen Distelmeyer, der seine am deutschen
Schlager geschulten Songs unbeirrt von jedwedem Coolness-Diktat aus dem Ärmel
schüttelt, hat man es auch bei Johanson mit einem unbedingten Könner zu tun.
Und man ahnt es bereits: Der Mann ist vor allem in
Frankreich sehr beliebt.
(Wiener Journal, 23.9.2011)
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