Freitag, September 23, 2011

Zuckerstangen und Käsekeyboards

Im Pop, der etwas auf sich hält, mag Kitsch nur eine Randerscheinung sein. Zwischen reiner Form, unfreiwilliger Komik und ironischem Bruch hört man dennoch immer wieder von ihm. Ein Querschnitt durch die Ästhetiken.

Katy Perry, Schlagobersprinzessin

Auf dem Cover zu ihrem Album „Teenage Dream“ posiert Katy Perry als schmachtender Nackedei auf einer Wolke, die als rosafarbene Zuckerwatte womöglich den siebten Himmel verheißen soll. Im Inneren des mit Kirschwasser parfümierten Booklets gibt sich die betont süße Sängerin mit ihrem aus Zuckerstangen und Fruchtgummis geformten Krönchen inmitten mannshoher Hochzeitstorten der geiligen Sorte als Schlagobersprinzessin für uns hin. Die ähnlich ausstaffierten Bühnendesigns der Sängerin oder ihr Musikvideo zur Single „California Gurls“ lassen keinen Zweifel daran, dass hier jemand drauf und dran ist, dem US-Künstler Jeff Koons in Sachen Kitsch den Rang abzulaufen.

Mit dem auf die Kunst der süßen Versuchung spezialisierten New Yorker Maler Will Cotton, dessen Lieblingswort einer Episode des „Arte“-Formats „Durch die Nacht mit ...“ zufolge „amazing“ ist, hat sich Katy Perry den denkbar besten Art-Director für ihr Anliegen ausgesucht. Mit erheblich mehr Saccharose und deutlich weniger Porno-Ästhetik als in Koons Arbeiten sei schließlich auch daran erinnert, dass das Kernpublikum des Popstars noch bevorzugt heiße Schokolade trinkt. Ansonsten leitet sich der Kitsch-Begriff bei Katy Perry aus dem Jiddischen ab. „Verkitschen“ bedeutet dort, „jemandem etwas andrehen, was dieser nicht braucht“.

Bryan Ferry, Stilikone

Wer, wie, was – Bryan Ferry? Den ewigen britischen Dandy und Tory-Fan mit Arbeiterklassen-Vergangenheit bringt man besser nicht mit Kitsch in Zusammenhang. Schließlich wähnt sich der 1945 geborene Sir und Gentleman, eine Stilikone zu sein. Wie sein Konzert in der Wiener Staatsoper im Juli dieses Jahres bewies, ist dem Sänger diesbezüglich auch kaum etwas anzuhaben. Aber!

Wo Stil im großen Stil ausgestellt wird, hat man es nicht selten mit einer Gratwanderung zu tun. Bei Bryan Ferry kündet die Spätphase seiner Band Roxy Music und der leicht schmierige Art-Pop des Albums „Avalon“ davon. Nicht genug damit, dass das im Titelstück verwendete Saxofon für einen Sound einsteht, der dem einschlägiger Softpornos nicht vollkommen unähnlich ist, greift das Musikvideo auch bildhaft tief in die diesbezügliche Klischeekiste. Bryan Ferry bezirzt mit weißem Sakko, schwarzer Fliege und einem Turmfalken am Arm als vermuteter Schlossherr ein Topmodel. Dieses tänzelt im rosafarbenen Kleidchen gar leichtfüßig durch den Südwestflügel des Anwesens. Jetzt kommt gleich das Saxofonsolo! Kitsch bedeutet, dass geklotzt und niemals gekleckert wird. Verschwenden, verschütten. Dick auftragen. Die Achtziger-Jahre waren eine Zeit, in der nicht weniger, sondern nur mehr auch wirklich mehr war. Stichwort George Michael!

George Michael, Goldketten-Träger

Ebenso wie bei Bryan Ferry spielt auch bei George Michael das Saxofon-Solo eine tragende Rolle. Man erinnere sich etwa an seinen Hit „Careless Whisper“, der schlüssig erklärt, dass Mainstreamerfolge und augezeichnetes Songwriting einander nicht ausschließen müssen.

Allerdings bringt „Careless Whisper“ in der Bridge einen Sound ins Spiel, der auf heute verpönte, von postmodernen Zeitgeist-Produzenten – anything goes! – aber erst recht wieder aufgegriffene Käsekeyboards zurückgeht. Diese waren für die Anfänge George Michaels mit seiner Yuppie-Pop-Band Wham! noch weitaus bedeutender. Vor allem das Video zu deren Weihnachtssong „Last Christmas“ prägte mit dem Sänger in der Blütezeit seiner Föhnfrisuren-Phase plus Goldkette und Ohrring eine gewisse Ikonografie. Der weiße Bade-Tanga im „Club Tropicana“ lieferte die sommerliche Entsprechung. Am 21. November bringt der Barde im Rahmen seiner „Symphonica Tour“ den mehr als nur zarten Schmelz seines Œuvres live in die Wiener Stadthalle.

Jay-Jay Johanson, Ästhet und Schmerzensmann

Es ist einigen der ernstzunehmenderen Songwritern der jüngeren Zeit zu verdanken, dass Kitsch nicht mehr nur negativ konnotiert ist. Sowohl Anthony and the Johnsons, Rufus Wainwright oder Scott Matthew überführen das schöne Leid an der Welt mit barockem Gestus zu tatsächlicher Kunst. Der schwedische Schmerzensmann Jay-Jay Johanson ist vor diesem Hintergrund ein erstaunlicher Spezialfall.

Wie Songtitel wie „It Hurts Me So“, „She’s Mine But I’m Not Hers“ oder „Alone Again“ bereits nahelegen, ist Johanson dem Liebesleid anheimgefallen. Dieses wird Trip-Hop-affin und bevorzugt an der Schnittstelle zwischen Jazz und Pop so süßlich vertont, dass stets akute Sodbrandgefahr besteht. Dominiert von Johansons Stimme, die auf eine mögliche Dauerbehandlung mit Öl und Honig schließen lässt, und üppigen Soundteppichen aus dem Keyboard ist dabei immer alles viel zu viel. Im Wissen darum und davon überzeugt, dass ein Mann tun muss, was ein Mann tun muss, entsteht die Kunst dabei nicht nur aus der Konsequenz. Ähnlich wie bei Jochen Distelmeyer, der seine am deutschen Schlager geschulten Songs unbeirrt von jedwedem Coolness-Diktat aus dem Ärmel schüttelt, hat man es auch bei Johanson mit einem unbedingten Könner zu tun.

Und man ahnt es bereits: Der Mann ist vor allem in Frankreich sehr beliebt.

(Wiener Journal, 23.9.2011)

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