Freitag, April 26, 2013

Licht, Schatten und Liebe

„Four (Acts Of Love)”: Das zweite Album von Mick Harvey nach seiner Ära bei Nick Cave

- Ein stimmiges Konzeptalbum zwischen Song und Atmosphäre 

Keine Frage, Mick Harvey gilt als Mann aus dem Hintergrund. Als umtriebiger Produzent und Multiinstrumentalist wurde der heute 54-jährige Australier allerdings so etwas wie die stille Zentralfigur hinter den Frontkarrieren von klingenden Namen wie (der mit ihm nicht verwandten) PJ Harvey oder Nick Cave.

Vor allem mit dem Rock-’n’-Roll-Dichter Cave verbindet Harvey eine lange Geschichte. Immerhin datiert der Erstkontakt auf die frühen 1970er-Jahre zurück, als man in Down Under die gleiche Schule besuchte und rasch begann, Bands zu formieren. Nachdem Harvey und Cave bereits mit The Boys Next Door oder der Birthday Party für Krawall und Remmidemmi gesorgt hatten, ging es über einen Zwischenstopp in der Bad-Seeds-Gründungsstadt London weiter ins Westberliner Epizentrum der seinerzeitigen Boheme. Quer durch die Metamorphosen der Bad Seeds von der ursprünglichen Blues-Punk-Kapelle mit Vorliebe für US-amerikanische Mördermythen hin zu Caves poetisch-romantischer Piano-Phase ab Mitte der 90er-Jahre, die wiederum von strammem Altherrenrock abgelöst wurde, übte Harvey als De-facto-Bandleader entscheidenden Einfluss auf die Arbeit der bösen Saat aus – wobei der rockistische Wiederausbruch Caves, der sich auch in seinem ohne Harvey auskommenden Projekt Grinderman manifestierte, letztlich zum Bruch führen sollte: 2009 und somit nach dreieinhalb gemeinsam verbrachten Kreativjahrzehnten ging mit Harveys Ausstieg bei den Bad Seeds eine Ära zu Ende. 

Später Neubeginn 

Um den gerne als Sidekick des Dichterfürsten bezeichneten Musiker indes musste man sich keine Sorgen machen. Der Mann, der PJ Harvey in ihrer schwierigen Hit-Phase auf dem Album „Stories From The City, Stories From The Sea” ebenso beistand, wie er ihr vor zwei Jahren erschienenes Konzeptmeisterwerk „Let England Shake” mitverantwortete, verlieh seiner Solokarriere umgehend neuen Schwung. Diese hatte zwischen 1995 und 1997 bereits zwei Alben mit Serge-Gainsbourg-Bearbeitungen gezeitigt, ehe zwei Arbeiten mit Coverversionen persönlicher Helden von Jeffrey Lee Pierce bis zu Tim Buckley ebenso folgten wie zahlreiche Soundtrack-Beiträge. Als erstes ausschließlich selbstkomponiertes Album markierte „Sketches From The Book Of The Dead” im Jahr 2008 einen Neubeginn. 

Dichte Atmosphären 

Abgesehen von einem Song, den PJ Harvey ihrem Namensvetter überließ, sowie drei Coverversionen, die etwa mit einer sanft kitschigen Interpretation von Roy Orbisons „Wild Hearts” und Van Morrisons hier vom orchestralen Jazz befreitem „The Way Young Lovers Do” erfreuen, steht auch auf „Four (Acts Of Love)” der Schreiber Mick Harvey wieder im Vordergrund. Neben Songs wie „Praise The Earth“, die harmonisch etwa auch an die Zusammenarbeit von John Cale und Brian Eno auf „Wrong Way Up” denken lassen und hörbar von Harveys Kindheit als Sohn eines Pfarrers der Church Of England beeinflusst sind, bietet die atmosphärische Arbeit immer wieder auch quasi-filmmusikalische Zwischenspiele. Das sparsam ausinstrumentierte Klangbild  vertraut dazu auf sanftes Beserlschlagzeug, angejazzten Kontrabass, gezupfte akustische und mit sanftem Twang belegte E-Gitarren – sowie auf surrende und sägende Hintergrundgeräusche, die die meditativen bis kontemplativen Momente dazwischen durchziehen. Das klingt bisweilen ein wenig unspektakulär, erweist sich aber als äußerst stimmige Reflexion zum Thema Liebe und ihre Folgen.

Schön, dass Harveys dunkle Skizzen zahlreiche Auszeiten an der Sonne nehmen – ehe nach 36 stringenten Minuten bereits alles gesagt ist. 

(Wiener Zeitung, 26.4.2013)

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