„Four (Acts Of Love)”: Das zweite
Album von Mick Harvey nach seiner Ära bei Nick Cave
- Ein stimmiges Konzeptalbum
zwischen Song und Atmosphäre
Keine Frage, Mick Harvey gilt
als Mann aus dem Hintergrund. Als umtriebiger Produzent und
Multiinstrumentalist wurde der heute 54-jährige Australier allerdings so etwas
wie die stille Zentralfigur hinter den Frontkarrieren von klingenden Namen wie
(der mit ihm nicht verwandten) PJ Harvey oder Nick Cave.
Vor allem mit dem
Rock-’n’-Roll-Dichter Cave verbindet Harvey eine lange Geschichte. Immerhin
datiert der Erstkontakt auf die frühen 1970er-Jahre zurück, als man in Down
Under die gleiche Schule besuchte und rasch begann, Bands zu formieren. Nachdem
Harvey und Cave bereits mit The Boys Next Door oder der Birthday Party für
Krawall und Remmidemmi gesorgt hatten, ging es über einen Zwischenstopp in der
Bad-Seeds-Gründungsstadt London weiter ins Westberliner Epizentrum der
seinerzeitigen Boheme. Quer durch die Metamorphosen der Bad Seeds von der
ursprünglichen Blues-Punk-Kapelle mit Vorliebe für US-amerikanische
Mördermythen hin zu Caves poetisch-romantischer Piano-Phase ab Mitte der
90er-Jahre, die wiederum von strammem Altherrenrock abgelöst wurde, übte Harvey
als De-facto-Bandleader entscheidenden Einfluss auf die Arbeit der bösen Saat
aus – wobei der rockistische Wiederausbruch Caves, der sich auch in seinem ohne
Harvey auskommenden Projekt Grinderman manifestierte, letztlich zum Bruch
führen sollte: 2009 und somit nach dreieinhalb gemeinsam verbrachten
Kreativjahrzehnten ging mit Harveys Ausstieg bei den Bad Seeds eine Ära zu
Ende.
Später Neubeginn
Um den gerne als Sidekick des
Dichterfürsten bezeichneten Musiker indes musste man sich keine Sorgen machen.
Der Mann, der PJ Harvey in ihrer schwierigen Hit-Phase auf dem Album „Stories
From The City, Stories From The Sea” ebenso beistand, wie er ihr vor zwei
Jahren erschienenes Konzeptmeisterwerk „Let England Shake” mitverantwortete,
verlieh seiner Solokarriere umgehend neuen Schwung. Diese hatte zwischen 1995
und 1997 bereits zwei Alben mit Serge-Gainsbourg-Bearbeitungen gezeitigt, ehe
zwei Arbeiten mit Coverversionen persönlicher Helden von Jeffrey Lee Pierce bis
zu Tim Buckley ebenso folgten wie zahlreiche Soundtrack-Beiträge. Als erstes ausschließlich
selbstkomponiertes Album markierte „Sketches From The Book Of The Dead” im Jahr
2008 einen Neubeginn.
Dichte Atmosphären
Abgesehen von einem Song, den PJ Harvey ihrem Namensvetter überließ, sowie
drei Coverversionen, die etwa mit einer sanft kitschigen Interpretation von Roy
Orbisons „Wild Hearts” und Van Morrisons hier vom orchestralen Jazz befreitem
„The Way Young Lovers Do” erfreuen, steht auch auf „Four (Acts Of Love)” der
Schreiber Mick Harvey wieder im Vordergrund. Neben Songs wie „Praise The
Earth“, die harmonisch etwa auch an die Zusammenarbeit von John Cale und Brian
Eno auf „Wrong Way Up” denken lassen und hörbar von Harveys Kindheit als Sohn
eines Pfarrers der Church Of England beeinflusst sind, bietet die
atmosphärische Arbeit immer wieder auch quasi-filmmusikalische Zwischenspiele.
Das sparsam ausinstrumentierte Klangbild vertraut dazu auf sanftes
Beserlschlagzeug, angejazzten Kontrabass, gezupfte akustische und mit sanftem
Twang belegte E-Gitarren – sowie auf surrende und sägende Hintergrundgeräusche,
die die meditativen bis kontemplativen Momente dazwischen durchziehen. Das
klingt bisweilen ein wenig unspektakulär, erweist sich aber als äußerst
stimmige Reflexion zum Thema Liebe und ihre Folgen.
Schön, dass Harveys dunkle Skizzen zahlreiche Auszeiten an der Sonne nehmen
– ehe nach 36 stringenten Minuten bereits alles gesagt ist.
(Wiener Zeitung, 26.4.2013)
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