Mittwoch, Mai 15, 2013

Konzeptkunst nach Dewey

Die Pop- und Avant-Dings-Spezialisten The Residents live im Wiener Burgtheater
 

Die Fans mit den strahlenden Augen in den ersten drei Reihen sind davon überzeugt, dass sich das Burgtheater heute schon zur Halbzeit leeren wird. So kam es nicht. Aber sicher, der Laufkundschaft dürfte es erheblich mehr Spaß bereiten, über die alten Pop-Dekonstruktivisten und Avant-Dings-Spinner von The Residents zu lesen, als sich einen ganzen Abend mit ihnen antun zu müssen. Auf der Bühne gibt Randy Rose die Fragestellung des Abends also schon einmal vor: „Why, why, whyyyy???“

Ein Schelmenstück


Die bereits seit gut und gerne vier Jahrzehnten im Geschäft stehende und nur wegen der von den Beatles vorexerzierten Besetzungspolitik als Quartett gegründete Band, die heute aufgrund aktueller Fehlentwicklungen aber ein Trio ist, liefert nicht etwa nur im Haus am Ring ein Schelmenstück unter dem Motto „Wonder Of Weird“. Als Trickster von der IG Kunst inszenierten die Residents bereits ihre ganze Vorkarriere als solches. Die biografische Verwirrung, für die das – aber psst! – aus der Band selbst bestehende Bandmanagement mit gezielten wie gezielt irren Falschinformationen sorgt, trifft sich nur zu gut mit dem obskuren, mittlerweile sechzig Alben umfassenden Werk der US-Amerikaner. Dieses kann von Interessierten für 100.000 Dollar als auf zehn Stück limitierte Gesamtausgabe erstanden werden, die in einem Kühlschrank daherkommt. Der Kühlschrank ist im Preis übrigens inkludiert, also voll billig bis eh gratis!


Die hanebüchene Ironisierung so ziemlich aller je erfundenen (und dabei kaum weniger haarsträubenden) Pop-Klischees und eine Neigung zum Konzeptwerk bestimmen das Reich der Band, die die Beatles sehr falsch nachspielte und das legendäre Apollo-Konzert von James Brown in New York mit gepitchter Computerstimme („Ooh-wohooo“!) auf ihre eigentümliche Art interpretierte. Dazu kamen Themenwerke über Maulwürfe, erfundene Arktis-Reisen und mit dem „Commercial Album“ eine Sammlung von vierzig je auf die Jingle-Dauer von einer Minute beschränkten „Songs“, die (wie das übrige Werk der Band) kaum je im Radio gespielt worden wäre, hätte man sie als Promo-Schmäh nicht in den Werbeslot gebucht. Wir sehen schon, die Grenzen zwischen Kunst und Marketing sind bei den Residents nicht nur am gut besuchten Merchandising-Stand fließend.

Launige Erzählungen


Liveauftritte der konsequent anonym gebliebenen Band, die sich hinter Künstlernamen sowie der entsprechenden Bühnen-Maskerade versteckt, darf man sich als außer Kontrolle geratenen Kinderfasching der Altherren vorstellen, wenn diese zu viel LSD getankt haben. Oder aber wir haben es mit einem ewigen Tagtraum von Dewey aus der US-Serie „Malcolm in The Middle“ zu tun, wenn nicht gerade ein Film abläuft, der auch von David Lynch stammen könnte. Vor zwei überlebensgroßen Zuckerstangen, die von einem Schnee- und einem Weihnachtsmann zusammengehalten werden, tritt Sänger Randy Rose als Nikolo mit Onkel-Dagobert-Gamaschen vor seine Bewunderer. Inklusive Halbgesichtsmaske mit Haaransatz und Teilglatze ist er der alles überragende Weirdo inmitten seiner Schnürl-Dreadlocks und Nachtsichtgeräte tragenden Kollegen Bob und Chuck an Stromrockgitarre, Zweifingerkeyboard und dem Klapprechner, der die wegen dem Stressfaktor nie allzu schnellen Beats in die kaputten Sounds schieben darf. Zwischen heiserer Böser-Onkel-Erzähl-, dämonischer Geisterbahn- und trauriger Clownsstimme geht es zu melodiearm anklingenden Elaboraten über „The Man In The Dark Sedan“ und „Baby Sister“ um einen Streifzug durch die Bandgeschichte, die zwar auch im Rahmen launiger Zwischenreden nicht zu knapp abgehandelt wird. Zugunsten betontermaßen sehr schlechter Witze über Groupies im Tour-Bus und Randys Beinahe-Einstieg ins Pornobusiness, der auch noch einen Gummipenis als Bühnen-Utensil zulässt, sind dem Freak-Out bald aber keine Grenzen mehr gesetzt.


Mit kindlicher Freude in den ersten drei Reihen, einem durchwegs physisch anwesend gebliebenen Rest-Burgtheater und der Beschwörung der bandeigenen Augapfel-Ikonografie geht es schließlich vor einem aufblasbaren Weihnachtsbaum zu Ende. Beim Auszug spielt es „Merry X-mas“ im Disco-Remix. Ach ja, der Wahnsinn der Wienerstadt erschien am Heimweg übrigens ziemlich normal – ausnahmsweise.


(Wiener Zeitung, 16.5.2013)

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