Die Pop- und
Avant-Dings-Spezialisten The Residents live im Wiener Burgtheater
Die Fans mit den strahlenden Augen in den ersten drei Reihen sind davon
überzeugt, dass sich das Burgtheater heute schon zur Halbzeit leeren wird. So
kam es nicht. Aber sicher, der Laufkundschaft dürfte es erheblich mehr Spaß
bereiten, über die alten Pop-Dekonstruktivisten und Avant-Dings-Spinner von The
Residents zu lesen, als sich einen ganzen Abend mit ihnen antun zu müssen. Auf
der Bühne gibt Randy Rose die Fragestellung des Abends also schon einmal vor:
„Why, why, whyyyy???“
Ein Schelmenstück
Die bereits seit gut und gerne vier Jahrzehnten im Geschäft stehende und nur
wegen der von den Beatles vorexerzierten Besetzungspolitik als Quartett
gegründete Band, die heute aufgrund aktueller Fehlentwicklungen aber ein Trio
ist, liefert nicht etwa nur im Haus am Ring ein Schelmenstück unter dem Motto
„Wonder Of Weird“. Als Trickster von der IG Kunst inszenierten die Residents
bereits ihre ganze Vorkarriere als solches. Die biografische Verwirrung, für
die das – aber psst! – aus der Band selbst bestehende Bandmanagement mit
gezielten wie gezielt irren Falschinformationen sorgt, trifft sich nur zu gut
mit dem obskuren, mittlerweile sechzig Alben umfassenden Werk der
US-Amerikaner. Dieses kann von Interessierten für 100.000 Dollar als auf zehn
Stück limitierte Gesamtausgabe erstanden werden, die in einem Kühlschrank
daherkommt. Der Kühlschrank ist im Preis übrigens inkludiert, also voll billig
bis eh gratis!
Die hanebüchene Ironisierung so ziemlich aller je erfundenen (und dabei kaum
weniger haarsträubenden) Pop-Klischees und eine Neigung zum Konzeptwerk
bestimmen das Reich der Band, die die Beatles sehr falsch nachspielte und das
legendäre Apollo-Konzert von James Brown in New York mit gepitchter
Computerstimme („Ooh-wohooo“!) auf ihre eigentümliche Art interpretierte. Dazu
kamen Themenwerke über Maulwürfe, erfundene Arktis-Reisen und mit dem „Commercial
Album“ eine Sammlung von vierzig je auf die Jingle-Dauer von einer Minute
beschränkten „Songs“, die (wie das übrige Werk der Band) kaum je im Radio
gespielt worden wäre, hätte man sie als Promo-Schmäh nicht in den Werbeslot
gebucht. Wir sehen schon, die Grenzen zwischen Kunst und Marketing sind bei den
Residents nicht nur am gut besuchten Merchandising-Stand fließend.
Launige Erzählungen
Liveauftritte der konsequent anonym gebliebenen Band, die sich hinter
Künstlernamen sowie der entsprechenden Bühnen-Maskerade versteckt, darf man
sich als außer Kontrolle geratenen Kinderfasching der Altherren vorstellen,
wenn diese zu viel LSD getankt haben. Oder aber wir haben es mit einem ewigen
Tagtraum von Dewey aus der US-Serie „Malcolm in The Middle“ zu tun, wenn nicht
gerade ein Film abläuft, der auch von David Lynch stammen könnte. Vor zwei
überlebensgroßen Zuckerstangen, die von einem Schnee- und einem Weihnachtsmann
zusammengehalten werden, tritt Sänger Randy Rose als Nikolo mit
Onkel-Dagobert-Gamaschen vor seine Bewunderer. Inklusive Halbgesichtsmaske mit
Haaransatz und Teilglatze ist er der alles überragende Weirdo inmitten seiner
Schnürl-Dreadlocks und Nachtsichtgeräte tragenden Kollegen Bob und Chuck an
Stromrockgitarre, Zweifingerkeyboard und dem Klapprechner, der die wegen dem
Stressfaktor nie allzu schnellen Beats in die kaputten Sounds schieben darf.
Zwischen heiserer Böser-Onkel-Erzähl-, dämonischer Geisterbahn- und trauriger
Clownsstimme geht es zu melodiearm anklingenden Elaboraten über „The Man In The
Dark Sedan“ und „Baby Sister“ um einen Streifzug durch die Bandgeschichte, die
zwar auch im Rahmen launiger Zwischenreden nicht zu knapp abgehandelt wird.
Zugunsten betontermaßen sehr schlechter Witze über Groupies im Tour-Bus und
Randys Beinahe-Einstieg ins Pornobusiness, der auch noch einen Gummipenis als
Bühnen-Utensil zulässt, sind dem Freak-Out bald aber keine Grenzen mehr
gesetzt.
Mit kindlicher Freude in den ersten drei Reihen, einem durchwegs physisch
anwesend gebliebenen Rest-Burgtheater und der Beschwörung der bandeigenen
Augapfel-Ikonografie geht es schließlich vor einem aufblasbaren Weihnachtsbaum
zu Ende. Beim Auszug spielt es „Merry X-mas“ im Disco-Remix. Ach ja, der
Wahnsinn der Wienerstadt erschien am Heimweg übrigens ziemlich normal – ausnahmsweise.
(Wiener Zeitung, 16.5.2013)
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