Mittwoch, März 19, 2014

Sünden mit Ablasswunsch

„Neues“ Johnny-Cash-Album „Out Among The Stars“: Nachschub aus dem Nachlass 

In den späten 80er und frühen 90er Jahren hörte man diese und ähnliche Musik bei Familienausflügen ins Grüne aus dem Seniorenradio seufzen. Die Songs klangen lieblich, vertrauten auf den Zierrat schmalziger Streicher und kamen zum hatscherten Countryfest-Bass schunkelnd daher. Die Welt war schön, heil und harmonisch.

In Österreich kannte man Johnny Cash als Schmähführer aus der „Peter-Alexander-Show“. Er sang im Duett mit dem heimischen Entertainer wienerische Welthits wie „Jetzt trinkʼn ma noch a Flascherl Wein“ und übernahm darin das „Holladio“. Das kam gut an – und man verstand es. Dass Johnny Cash bei uns auch im Regionalradio funktionierte, war wiederum jenem Sound geschuldet, der sich im Nashville der 80er Jahre endgültig ins Glatt-Beliebige verkehrte. 

Doppelte Böden 

Auch zwölf „neue“ Songs, die unter dem Titel „Out Among The Stars“ am Freitag erscheinen und von Johnny Cash in den Jahren 1981 und 1984 eingespielt wurden, dokumentieren diese Ästhetik – und erklären den doppelten Boden, auf dem sich die Sonntagsfahrten auch eingedenk nicht vorhandener Englischkenntnisse der Hörerschaft bewegten. Immerhin erzählt Cash im Titelsong des Albums nicht nur von einem Ladendiebstahl in der texanischen Pampa, der – weiß Gott! – tödlich ausgehen wird. Er singt mit „I Drove Her Out Of My Mind“ auch über eine Beziehung und deren Ende per Mord und Suizid. Allerdings lässt es sich zum Erlösungs-Gospel des Backgroundchors vortrefflich schunkeln, ehe über den zum Abschluss gereichten Läuterungs-Country von „I Came To Believe“ im seligen Dreivierteltakt wieder in den Schoß von Jesus Christus heimgekehrt wird. Und vergib uns unsere Schuld!

Die aus einer Archiventstaubung durch Sohnemann John Carter Cash hervorgegangene Veröffentlichung datiert hörbar auf eine künstlerisch schwierige Phase des „Man in Black“ zurück. Nach unambitionierten und nicht nur wegen des Niedergangs von Country zum Subgenre erfolglosen Alben sowie auch aufgrund Cashs neuentdeckter Neigung zum christlichen Nischenwerk beschloss man bei Columbia Records, das einstige Zugpferd nur mehr nach Vorschrift zu promoten. Ein enttäuschter Cash zog die Konsequenzen und erlebte nach dem Wechsel zu Mercury Records noch schlechtere Jahre. Erst die Zusammenarbeit mit Rick Rubin sorgte ab 1994 für ein übermächtiges Alterswerk, das den Sänger überwiegend alleine an der Gitarre und mit vom Leben gezeichnetem Grubenbass auch für neue Generationen interessant und künstlerisch unsterblich machte. Ohne übertriebene Country-Klischees, sehr wohl aber mit der nötigen Dosis Altmänner-Pathos, entstanden Gänsehaut erzeugende, in ihrer Reduktion auf das Wesentliche erhabene Coverversionen, die nichts weniger als die Vorlagen übertreffende Aneignungen waren. 

Unentschiedener Cash 

Das von Columbia in den 80er Jahren abgelehnte Material, das „Out Among The Stars“ nun versammelt und ausgerechnet vom zu Columbia und Sony Music gehörenden Reissue-Label Legacy Recordings instrumentalisiert wird, um die posthume Geldmaschine zu schmieren, leidet hingegen unter zwei Umständen: Einerseits wird unter Regie des synonym für den glattpolierten „Countrypolitan“-Sound stehenden Produzenten Billy Sherrill auf exakt jene Klischees vertraut, die man dem späten Johnny Cash erst verbieten musste. Andererseits hören wir einen unentschiedenen Musiker, der wahlweise frömmelnd oder heimatlich-patriotisch zwischen  Truckerbar-Country, Rockabilly-Ruinen und Nashville-Schlager mäandert.

Trotz guter Momente wie etwa „Don’t You Think It’s Come Our Time“ als Zeugnis einer Lebensliebe, das im Duett mit June Carter Cash erschallt, ist „Out Among The Stars“ als Angelegenheit für Die-Hard-Fans zu betrachten – sowie als Dokument einer Zeit, die für Johnny Cash und die Country-Branche als solche nicht einfach war.

Johnny Cash: Out Among The Stars (Legacy/Sony) 

(Wiener Zeitung, 20.3.2014)  

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