Freitag, Dezember 19, 2014

Ein Bauchnabel kehrt wieder

US-Neo-Soul-Musiker D’Angelo veröffentlicht sein erstes Album seit 14 Jahren

Von der US-Kritik wird das Album als ein Album des Jahres gefeiert – ohne formal auch ein solches zu sein. Immerhin waren die Bestenlisten längst fertig geschrieben, als „Black Messiah“ zu Wochenbeginn veröffentlicht wurde. Dass die Erscheinung auch als Überraschungscoup durchgeht, ist dann aber tatsächlich ein Wunder. Der offizielle Nachfolger zu D’Angelos Zweitling „Voodoo“ von 2000 wäre eigentlich schon vor zehn Jahren erwartet worden. Ein persönlicher Absturz zwischen Alkohol und Drogen, „driving under the influence“ sowie der schlechten Idee, bei einer für eine Prostituierte gehaltenen Undercover-Polizistin in Sachen Sex anzufragen, wusste es zu verhindern. Über zahlreiche gescheiterte Sessions und mit „Nun aber wirklich“-Avisos seit mindestens 2007 trotzdem angekündigt, entwickelte sich das Werk zum „Warten auf Godot“ der R&B-Szene.

Für Ferguson

Die Überraschung mag nun daher rühren, dass das Album über Nacht ins Netz gestellt wurde und das Label im Hintergrund sämtliche für die nächsten sechs Monate vorgesehenen Arbeitsschritte in kürzester Zeit zu erledigen hatte. Wachgerüttelt von den Ereignissen in Ferguson und der wieder aufkeimenden Diskussion über Rassismus in den USA, definiert D’Angelo das „Black Messiah“-Konzept in den Liner-Notes so: „Many will think it’s about religion. For me, the title is about all of us. It’s about the world. It’s about an idea we can all aspire to. We should all aspire to be a Black Messiah.“ Und: „It’s not about praising one charismatic leader but celebrating thousands of them. It’s a feeling that, collectively, we are all that leader.“

Gemeinsam mit dem Coversujet, das eine protestierende Menschenmasse darstellen könnte, sich tatsächlich aber als das bei einem raren Auftritt D’Angelos anwesende Publikum erweist, mögen diese Worte vor einer Tatsache zwar doch sanft verpuffen: Auf dem Album selbst befindet sich nur ein einziger Song, der explizit politisch daherkommt. Dieser allerdings hat es in sich. „The Charade“ ist eine stille, dabei aber eindringliche Anklage geworden, die den Schrecken nicht zuletzt als Kreidezeichnung auf dem Beton festhält: „All we wanted was a chance to talk. ʼStead we’ve only got outlined in chalk“ – um die Hoffnung auf ein besseres Morgen mit kämpferischer Note trotzdem (und gerade deswegen!) zu beschwören.

Ganz grundsätzlich stellt das Album eine gelungene Weiterführung der Kernkompetenzen D’Angelos dar, der den Begriff „Neo-Soul“ mit seinem Debütalbum „Brown Sugar“ bereits 1995 prägen und ihn mit beinahe im Alleingang eingespielten Songs an der Schnittstelle von R&B, Soul, Funk und Jazz sowie nicht zuletzt Hip-Hop ausdefinieren sollte. Mit dem Hit „Untitled (How Does It Feel)“ und dem nackt eingesungenen, vor allem auf den Bauchnabel D’Angelos fokussierten Musikvideo, das ein persönliches Zipfl-Gate gerade noch zu verhindern wusste, bewarb sich der Mann zusätzlich als möglicher Thronfolger eines Prince.  Musikalisch ähnlich explizit wird es auf „Black Messiah“ nur mit der R&B-Klassizistik des Abschlusssongs „Another Life“.

Subtil bis sublim

Textlich zwischen Liebesbekundungen und einer Verarbeitung des problematisierten eigenen Lebenswegs samt anschließender Reue (in Form eines Soul-Stoßgebets) gehalten, kommt davor exakt gar nichts mit der Brechstange daher. Wir hören gleichermaßen subtile wie zumindest oft auch sublime Musik, die zwischen Groove-Studien und konzisem Songwriting verspielt stotternden Doo-Wop-Gesang, geschult-angejazzte Bässe und funky Soullicks collagiert und mit kammermusikalischen Streichern und zärtlichen Zupfgitarren zum Kuscheln ins King-Size-Bett lädt.

Ja, eigentlich müsste man D’Angelo im Juni am Jazzfest Wien erleben können. Realistisch betrachtet ist sein Slot aber bereits für Bobby McFerrin oder Radikaljazzer vom Format der Pet Shop Boys reserviert.

D’Angelo: Black Messiah (RCA/Sony Music)

(Wiener Zeitung, 20./21.12.2014)

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