Schall &
Rauch
Ursprünglich einmal gab es zu Weihnachten überhaupt
keine Musik. Stille Nacht! Mit Wurzeln in der kirchlichen Liturgie und
lateinischen Hymnen sollte es bis ins 18. und 19. Jahrhundert dauern, dass sich
spezifische Formen des Weihnachtsliedes entwickelten und dann auch im Eigenheim
zum gemeinsamen Singsang angesetzt wurde. Seit nun auch schon wieder einiger
Zeit geschieht also immer das Gleiche: Während es hinten am Herd appetitanregend
mit wohligem Blubbern bereits aus dem Topf mit dem Sauerkraut dampft, rieselt
unter dem Tannenbaum bei einer zumindest für drei, vier Minuten andächtigen
Stimmung leise der Schnee – wenn nicht gerade ein Ros entspringt oder die Nacht
nicht mehr ganz so still ist, wie sie es früher war. Vielleicht probt der
Nachwuchs halböffentlich vor der Familie mit schiefen Tönen das
Blockflötenspiel und gibt der Opa kontrapunktisch per Stimme den Bass. Nach dem
letzten Ton jedenfalls ist die Hauptsache ohnehin eine andere. Bescherung,
Bockbier und Bratwürstl gelten diesbezüglich als Hit. Und vor dem Einschlafen
allein vor dem Fernseher noch ein Film mit reichlich Tschinbumm – und einem Zentralfriedhof
an Ermordeten zum Ausgleich!
Vor diesem gut abgesteckten, also im eigentlichen
Sinne traditionellen Setting musste es wiederum bis zum Jahr 1984 dauern, ehe
der Herzschmerz-Topos Einzug ins Weihnachtslied-Genre hielt. George Michael als
damals noch Hansi-Hinterseer-blonder Föhnfrisuren-Heiland eines schneidigen
Kreditkarten-Pop, der den Schnee auch in den Discos und Trendbars zum Rieseln
brachte, sorgte mit dem Welthit „Last Christmas“ nachdrücklich dafür.
Weihnachten, das bedeutete Familie, Zusammenhalt und
Werte. Mit dem „Last Christmas“-Video in den schweizerischen Bergen nun aber anfänglich
auch Hüttengaudi mit Freunden – und letztlich einen „Zusammenhalt“, wie ihn das
Team Stronach als Grundwert schätzt, bevor es zur Fristlosen kommt. Die
Kündigung der Liebe am Fest der Nämlichen, alleine sein, wenn alle gemeinsam sind
– bitter werden wie Ebenezer Scrooge höchstpersönlich!
Während sich das Leid des George Michael freilich
nur auf sein Autoren-Ich beschränkte, realiter also gar nicht vorhanden war,
und im Anschluss Generationen versorgende Tantiemen am Bankkonto höchstens zu Tränen
der Freude führten, haben wir selbst hingegen die Bescherung: Alle Jahre wieder
kommt der Moment viel zu schnell, an dem man den Song nicht mehr hören kann,
obwohl man ihn noch sehr lange hören muss. Dann aber wird einem auch die erste
Textzeile daraus so richtig verständlich. Sie lautet: „Oh, oh-oh, ooh-oh.
Ah-ah!“
(Wiener Zeitung, 20./21.12.2014)
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