Lenny Kravitz schaute
für ein weiteres Best-of-Konzert in Wien vorbei.
Wenn
man sich gerade nicht in der Quarter- oder Midlifecrisis befindet, man sich
kein Auto kaufen mag (oder es sich nicht leisten kann), trotzdem aber Lust hat,
sich selbst zu beschenken, sei die Anschaffung einer Automatikuhr wärmstens
empfohlen. Diese hat auch einen Wert, hält im Normalfall länger als ein
fahrbarerer Untersatz, kann dereinst an die Kinder weitergegeben werden, die
man erst zeugen muss, und erklärt am Ziffernblatt schon davor ganz genau, dass
die Zeit, die man hat, auch nicht mehr mehr werden wird.
Ja,
wenn Lenny Kravitz mit standesgemäßer Rockstarverspätung um 21:19 Uhr –
Tick-tack! – noch immer nicht auf der Bühne steht, hat man Zeit, sich so seine
Gedanken zu machen. Zeit mag ja eine fixe Größe sein, vor allem im Rock ’n’ Roll ist sie aber immer
auch relativ – und ein bisserl egal, weil man morgen früh ja nicht in die Hackn
muss. Als der Held des Abends schließlich doch noch erscheint, wird dieser
Umstand gleich mit der Eröffnungsnummer offenkundig: „Dirty White Boots“
(„Streif dein Höschen ab, Baby, zeig her deine Schätze!“) beweist, dass man
auch im Alter von 50 Jahren noch Lieder schreiben kann, die schon ein halbes
Leben davor peinlich gewesen wären.
Sex! Sex!! Sex!!!
Sex! Sex!! Sex!!!
Für
die Verhältnisse eines Lenny Kravitz – dunkle Sonnenbrille, Pokerface, die
Faust in die Höhʼ! – mag der Song zwar nur bedingt peinlich sein. Das weiß man
nicht nur, wenn man sein aktuelles Album kennt: „Strut“, das bereits eine Karriere
lang vorexerzierte Stolzieren, im Video zur neuen, mit kühler New-Wave- und heißer
Unterhosenmodel-Ästhetik als erhebliches Drama einmal mehr vorgeführt, beweist
es nicht zuletzt mit einem live ausgesparten Song namens „Sex“: „Ich fühle die
Flammen deines Feuers und es verbrennt mir das Herz. Girl, du hast meine Nummer,
und es hört niemals auf … Ja, mich überkommt ein Gefühl. Sex! Sex!! Sex!!!“
Nun
wissen wir zwar spätestens seit Peter Weibel und dem Hotel Morphila Orchester,
dass nicht nur Zeit, sondern auch „Sex in der Stadt“ („Zungenküsse,
französisch, griechische Leiden! Marxergasse 46, 1-1“) etwas ist, das keiner
hat. Wenn man sich zumindest für die Dauer eines dank Dauersolos auch mit nur
13 Songs auf zwei Stunden aufgedonnerten Rockkonzerts der schönen bis richtig
geil schönen Illusion hingeben will, ist man bei Lenny Kravitz in seiner Altersrolle
als Filf mit Sixpack aber definitiv an der richtigen Adresse. „Wiener
Stadthalle. Roland Rainer Platz 1. Onanie mit Gitarre. Endloses Geschwurbel!“
Spaß an der
Freud
Hätte
man sich nun beim Einkaufen für die Chronoskop-Uhr entschieden, könnte man
bezüglich der Zeit sogar noch Genaueres sagen. Geschätztermaßen müsste aber mit
„Always On The Run“ im ewigen funky Jam und dem über die Bläserabordnung in
Richtung Jazz-Keller gebogenen „Let Love Rule“ zumindest zwei Mal an der
20-Minuten-Grenze gekratzt worden sein. Zeit ist bekanntlich auch Geld. Und
wenn du eine Lawine an Dienstpersonal mit auf Tournee nimmst, muss dieses auch
ordentlich Solos geben, damit sich das wieder reinspielt! Mangelnden Spaß an
der Freud kann man Lenny Kravitz und seinem Team jedenfalls nicht vorwerfen.
Trotzdem
ist es erfreulich, wenn ein Song auch einmal auf den Punkt gebracht wird. Das
ist bei guten alten Nummern wie dem den Ohren im Phillysound schmeichelnden „It
Ain’t Over ʼTil It’s Over“ ebenso der Fall wie beim zurückgenommenen „I Belong
To You“ oder „Dancinʼ Til Dawn“ mit seinem trockenen Midtempogroove – und auch
bei „Fly Away“, dem großen Hit, bei dem es leider „stumpf ist Trumpf“ heißt.
(Wiener Zeitung, 19.12.2014)
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