Mittwoch, Dezember 17, 2014

Mit Furor in den (Blut-)Rausch

The Amazing Snakeheads aus Glasgow gaben ihr Wien-Debüt im WUK

Mit Ash My Love erweist sich die Vorband als nicht nur vergleichsweise menschenfreundlich. Immerhin ist das Wiener Mann-Frau-Doppel aus Andi Dauböck und Ursula Winterauer mit seiner Sichtung etwa eines einst am Mississippi erfundenen Delta-Blues auf forsch elektrifizierter Basis auch angetan, das Waidwunde zumindest zwischendurch als solches erkennbar zu machen. Bei den Amazing Snakeheads aus Glasgow hingegen wird aller sehr wahrscheinliche Schmerz mit viel Furor, noch mehr Testosteron und unterschwellig bedrohlichem Gestus letztlich hinweggeprügelt. Die US-amerikanische Musikplattform allmusic.com zeigte sich diesbezüglich irritiert genug, um über den Sänger des live zu viert agierenden Trios Folgendes festzuhalten: „Dale Barclay does not seem to be the sort of guy you want to invite over to your house for dinner“ – und ihn im Vergleich mit den Bühnen- und Kunstfiguren Jeffrey Lee Pierce und Nick Cave (in jungen Jahren) als „more convincingly nuts“ zu bezeichnen. Das mag nun Unsinn sein. Wie die Band im intimen Rahmen des WUK Foyers mit dieser Zuschreibung kokettiert, ist aber ein Glücksfall.

Entladungsrock

Wenn Dale Barclay sich nicht gerade mit dem Mikrofonständer durch das Publikum schiebt, um den „bad motherfucker“ mit dem manischen Blick und der nach links oben gezogenen Lippe zu geben, er großspurig wie ein Gürtel-Strizzi gestikulierend mit schwerem schottischen Akzent und dem misanthropischen Gemurmel eines Mark E. Smith feixt und geifert oder auf den Knien seine Gesangs-Sirene am Bühnenrand mit Geschwurbel aus der Körpermitte zu beeindrucken gedenkt, empfiehlt es sich etwa, William Coombe am Bass anzusehen. Zwischen Goldketterl, schwarzem Mundl-Unterhemd und den darunter wuchernden Peckerln wird von diesem mit regungslosen Whiskeyaugen über dem Schnauzer nur zum Ausdruck gebracht, dass er jederzeit einen Gachen kriegen könnte – wenn jemand die Sirene seines besten Haberers deppert aus dem Augenwinkel anschaut zetbe!

Die Musik übersetzt dieses Bild insofern ganz hervorragend, als die Songs der Amazing Snakeheads – live noch mehr als auf dem heuer erschienenen Debütalbum „Amphetamine Ballads“ (Domino) – nicht selten im Ruhepuls (noch!) über der Staubwüste kreisender Aasgeier wurzeln. Mit Angelo-Badalamenti-Twang auf der David-Lynch-Gitarre und einem Hauch von Ennio Morricone, der bei „I’m A Vampire“ nur konsequent „Spiel mir das Lied vom Tod“ als Reverenz zeitigt, geht es mit der Wucht sich bei angezogener Handbremse bewegender Beats zu metallen klirrenden Gitarren im dynamischen Wechselspiel aus laut und luise am Ende in Richtung Entladungs- und Reinigungsrock, Donnerwetter und „kaläsch“. Glasgow bei Nacht: Es begann bei einem gemütlichen Pint im „Old Anchor’s Pub“ und endete im Blutrausch draußen am Gehsteig!

Ohne das auf dem Album zentrale Saxofon, dafür mit gefährlichen Feedbacks als Überleitung zwischen den Songs, mit der Backgroundsängerin für die zackige Todesdisco von „The Bullfighter“ im Zentrum und einer mächtigen Version des stoischen „Memories“ als Konzerthöhepunkt – sowie natürlich mit exakt keiner Zugabe – ist nach 45 Minuten alles gesagt und vorbei. Nur ein Dinner mit Dale Barclay, ja, das wäre im Anschluss noch spannend gewesen.
         
(Wiener Zeitung, 18.12.2014)

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