Die
Geschichte der Videospielmusik spiegelt die Kommerzialisierung der
Gaming-Branche
Aktuell
steht Paul McCartney in einer Art Fantasy-Sci-Fi-Landschaft herum und singt
dort etwas von wegen „Hope For The Future“. Und diese Hoffnung kann man
brauchen. Immerhin wird bereits das Jahr 2700 geschrieben und eine postapokalyptische
Welt präsentiert, in der das Licht bald endgültig ausgehen könnte. Vom Blitz-
und Zermürbungskrieg nach einer außerirdischen Invasion gezeichnet, kämpft die
letzte von der Menschheit bevölkerte Stadt gegen ihr drohendes Schicksal. Unterstützung
gibt es immerhin von einer mysteriös über der Szenerie schwebenden Kugel, die
aussieht wie ein überdimensionierter Golfball nach einem schlechten Abschlag
von Tiger Woods aus einer fremden Galaxie oder eine freundliche Version des
Planeten Melancholia von Lars von Trier. Vor diesem ästhetisch wieder einmal
mit dem Letzten kokettierenden Setting des Computerspiels „Destiny“ sieht das
dazugehörige Musikvideo mit dem frech hineinmontierten Ex-Beatle relativ bochn
aus. Der Song selbst gedenkt, der überlebensgroßen Bilderwelt mit einem
120-Personen-Orchester nicht ganz ohne Pomp gegenüberzutreten. In der Bridge
darf man kurz auch an Meat Loaf denken. Es stimmt!
Fiepsen und
Piepsen
Dem
„Guardian“ beschrieb Sir Paul seine Zugangsweise zum Schreibauftrag so, dass er
sich das Spiel als Film-Blockbuster vorstellte. Eine diesbezügliche
Qualifikation steht mit dem mächtigen James-Bond-Titelsong „Live And Let Die“ schließlich
schon im Lebenslauf. Mit seinem Vergleich streifte McCartney aber nicht nur die
Tatsache, dass die Gaming-Industrie Hollywood kommerziell längst überholt hat –
die Veröffentlichung von „Destiny“ galt nicht von ungefähr als eines der
Entertainment-Ereignisse des Jahres schlechthin. Auch waren damit vorhandene Parallelen
der Filmmusikgeschichte zur Vergangenheit des Gaming-Soundtracks nahegelegt.
Letztere
startete gleichfalls mit zunächst gar keiner Musik, um etwa mit den einfachen Pling-Plong-Geräuschen
des Atari-Videospiel-Urvaters „Pong“ von 1972 heute an die Steinzeit des Genres
zu erinnern. Auch das nicht schlecht auf die Nerven gehende Fiepsen und Piepsen
und das darein intervenierende Blubbern des Klassikers „Donkey Kong“ (1981) mit
seiner finalen Erlösungsmelodie im Zeichen des Happy Ends wäre zu nennen. Das damit
begründete Jump-ʼnʼ-Run-Spiel, über den Gameboy bald für das globale
Kinderzimmer kommerzialisiert, sollte vor allem mit dem japanischen
Nintendo-Konzern in Sachen Sound und Musik mindestens prägend werden. Die
Gamerschaft mit vorantreibenden Melodien durch die Welten peitschende Nummern
nicht nur aus „Super Mario Bros.“ von 1985 sind heute popkulturelles
Allgemeingut.
Für
die Erstellung der Soundtracks waren dabei zunächst nicht vorrangig Musiker
gefragt, sondern vor allem Programmierer. Immerhin musste an Geräten wie dem
nur dreispurigen Commodore 64 mit seinem revolutionärerweise integrierten
Synthesizer einiges an Geschick bewiesen werden, um entsprechende Ergebnisse zu
erzielen.
Große
Verspieltheit
Dem
für Spiele wie „Shades“ oder später die „Star Wars“-Trilogie beauftragten
deutschen Musiker Chris Hülsbeck wird etwa zugeschrieben, am vierstimmigen
Commodore Amiga, mit dem erstmals auch Samples abgerufen werden konnten, gleich
sieben Stimmen erzeugt zu haben. Dabei wurden einflussreiche Soundtrack-Gestalter
wie Kōji Kondō, auf den das weltberühmte „Super Mario Bros. Theme“ zurückgeht,
zu weitgehend anonymen Stars zwischen schwierigen technischen Bedingungen und
betont einfacher Musik mit erhöhtem Hang zur Verspieltheit. Der Kraftwerk’sche
„Musikant mit dem Taschenrechner in der Hand“ war geboren. Allerdings wollte es
die Ironie, dass seine Kunst ab Mitte der 90er Jahre in frühnostalgischer
Verklärung auch konzertant aufgeführt wurde. Symphonische Interpretationen
einstiger Spielemusikklassiker eröffneten nicht nur alljährlich die Leipziger
Games Convention. Mit dem Nintendocore-Genre als Spielwiese der Nerds und etwa
Bands wie The Advantage aus Kalifornien sollten einschlägige Hits auch als „Analog-Interpretationen“
an der Stromgitarre erklingen. Puristischer huldigt der Gameboy Music Club,
ausgestattet mit der Konsole selbst und entsprechender Software, auch in Wien
noch heute vergnügt dem Originalsound einer Ära.
Für
die Spielebranche bedeutete die Distribution ihrer Machwerke per CD-Rom ab 1991
einen Innovationsschub. Und auch der Musik stand mit der Speicherplatzerhöhung
ein Mehr an Raum zur Verfügung. Parallel zum Abstieg der Musikindustrie konnten
und können Acts über die Lizensierung bereits existierender Songs oder mit
Auftragsarbeiten zwar neue finanzielle Quellen erschließen. Durch Musik als
Nebenbeibeschallung aus dem Autoradio bei nicht zuletzt als sexistisch
gebrandmarkten Spielen wie „Grand Theft Auto“ oder durch den Verkauf gleich der
ganzen Musikerseele an „Guitar Hero“ – dank dem Bands wie Aerosmith bald mehr
Geld einnahmen als durch eigene Veröffentlichungen – wurde Pop als Kulturgut
aber auch eklatant banalisiert und entwertet.
Mehr Abwechslung
Den
zunehmend epischen Spielewelten, in denen Wochen und Monate auf Tauchstation verbracht
werden können, wurde mit der Abkehr von der melodieselig-repetitiven
Flickerti-Flack-Elektronik und einer Hinwendung zur sublimeren Soundgestaltung
Rechnung getragen. Musik, die auf die Aktionen des Spielers reagiert – wie etwa
im von Amon Tobin umrahmten Stealth-Shooter „Splinter Cell: Chaos Theory“ – oder
vom Gamer direkt gestaltet wird, soll für Abwechslung und Personalisierung
sorgen.
(Wiener Zeitung, 13./14.12.2014)
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