Samstag, Dezember 13, 2014

Ein Geek in der Mitte

Die Geschichte der Videospielmusik spiegelt die Kommerzialisierung der Gaming-Branche

Aktuell steht Paul McCartney in einer Art Fantasy-Sci-Fi-Landschaft herum und singt dort etwas von wegen „Hope For The Future“. Und diese Hoffnung kann man brauchen. Immerhin wird bereits das Jahr 2700 geschrieben und eine postapokalyptische Welt präsentiert, in der das Licht bald endgültig ausgehen könnte. Vom Blitz- und Zermürbungskrieg nach einer außerirdischen Invasion gezeichnet, kämpft die letzte von der Menschheit bevölkerte Stadt gegen ihr drohendes Schicksal. Unterstützung gibt es immerhin von einer mysteriös über der Szenerie schwebenden Kugel, die aussieht wie ein überdimensionierter Golfball nach einem schlechten Abschlag von Tiger Woods aus einer fremden Galaxie oder eine freundliche Version des Planeten Melancholia von Lars von Trier. Vor diesem ästhetisch wieder einmal mit dem Letzten kokettierenden Setting des Computerspiels „Destiny“ sieht das dazugehörige Musikvideo mit dem frech hineinmontierten Ex-Beatle relativ bochn aus. Der Song selbst gedenkt, der überlebensgroßen Bilderwelt mit einem 120-Personen-Orchester nicht ganz ohne Pomp gegenüberzutreten. In der Bridge darf man kurz auch an Meat Loaf denken. Es stimmt!

Fiepsen und Piepsen

Dem „Guardian“ beschrieb Sir Paul seine Zugangsweise zum Schreibauftrag so, dass er sich das Spiel als Film-Blockbuster vorstellte. Eine diesbezügliche Qualifikation steht mit dem mächtigen James-Bond-Titelsong „Live And Let Die“ schließlich schon im Lebenslauf. Mit seinem Vergleich streifte McCartney aber nicht nur die Tatsache, dass die Gaming-Industrie Hollywood kommerziell längst überholt hat – die Veröffentlichung von „Destiny“ galt nicht von ungefähr als eines der Entertainment-Ereignisse des Jahres schlechthin. Auch waren damit vorhandene Parallelen der Filmmusikgeschichte zur Vergangenheit des Gaming-Soundtracks nahegelegt.

Letztere startete gleichfalls mit zunächst gar keiner Musik, um etwa mit den einfachen Pling-Plong-Geräuschen des Atari-Videospiel-Urvaters „Pong“ von 1972 heute an die Steinzeit des Genres zu erinnern. Auch das nicht schlecht auf die Nerven gehende Fiepsen und Piepsen und das darein intervenierende Blubbern des Klassikers „Donkey Kong“ (1981) mit seiner finalen Erlösungsmelodie im Zeichen des Happy Ends wäre zu nennen. Das damit begründete Jump-ʼnʼ-Run-Spiel, über den Gameboy bald für das globale Kinderzimmer kommerzialisiert, sollte vor allem mit dem japanischen Nintendo-Konzern in Sachen Sound und Musik mindestens prägend werden. Die Gamerschaft mit vorantreibenden Melodien durch die Welten peitschende Nummern nicht nur aus „Super Mario Bros.“ von 1985 sind heute popkulturelles Allgemeingut.

Für die Erstellung der Soundtracks waren dabei zunächst nicht vorrangig Musiker gefragt, sondern vor allem Programmierer. Immerhin musste an Geräten wie dem nur dreispurigen Commodore 64 mit seinem revolutionärerweise integrierten Synthesizer einiges an Geschick bewiesen werden, um entsprechende Ergebnisse zu erzielen.

Große Verspieltheit

Dem für Spiele wie „Shades“ oder später die „Star Wars“-Trilogie beauftragten deutschen Musiker Chris Hülsbeck wird etwa zugeschrieben, am vierstimmigen Commodore Amiga, mit dem erstmals auch Samples abgerufen werden konnten, gleich sieben Stimmen erzeugt zu haben. Dabei wurden einflussreiche Soundtrack-Gestalter wie Kōji Kondō, auf den das weltberühmte „Super Mario Bros. Theme“ zurückgeht, zu weitgehend anonymen Stars zwischen schwierigen technischen Bedingungen und betont einfacher Musik mit erhöhtem Hang zur Verspieltheit. Der Kraftwerk’sche „Musikant mit dem Taschenrechner in der Hand“ war geboren. Allerdings wollte es die Ironie, dass seine Kunst ab Mitte der 90er Jahre in frühnostalgischer Verklärung auch konzertant aufgeführt wurde. Symphonische Interpretationen einstiger Spielemusikklassiker eröffneten nicht nur alljährlich die Leipziger Games Convention. Mit dem Nintendocore-Genre als Spielwiese der Nerds und etwa Bands wie The Advantage aus Kalifornien sollten einschlägige Hits auch als „Analog-Interpretationen“ an der Stromgitarre erklingen. Puristischer huldigt der Gameboy Music Club, ausgestattet mit der Konsole selbst und entsprechender Software, auch in Wien noch heute vergnügt dem Originalsound einer Ära.

Für die Spielebranche bedeutete die Distribution ihrer Machwerke per CD-Rom ab 1991 einen Innovationsschub. Und auch der Musik stand mit der Speicherplatzerhöhung ein Mehr an Raum zur Verfügung. Parallel zum Abstieg der Musikindustrie konnten und können Acts über die Lizensierung bereits existierender Songs oder mit Auftragsarbeiten zwar neue finanzielle Quellen erschließen. Durch Musik als Nebenbeibeschallung aus dem Autoradio bei nicht zuletzt als sexistisch gebrandmarkten Spielen wie „Grand Theft Auto“ oder durch den Verkauf gleich der ganzen Musikerseele an „Guitar Hero“ – dank dem Bands wie Aerosmith bald mehr Geld einnahmen als durch eigene Veröffentlichungen – wurde Pop als Kulturgut aber auch eklatant banalisiert und entwertet.

Mehr Abwechslung

Den zunehmend epischen Spielewelten, in denen Wochen und Monate auf Tauchstation verbracht werden können, wurde mit der Abkehr von der melodieselig-repetitiven Flickerti-Flack-Elektronik und einer Hinwendung zur sublimeren Soundgestaltung Rechnung getragen. Musik, die auf die Aktionen des Spielers reagiert – wie etwa im von Amon Tobin umrahmten Stealth-Shooter „Splinter Cell: Chaos Theory“ – oder vom Gamer direkt gestaltet wird, soll für Abwechslung und Personalisierung sorgen.

Nicht zuletzt der finanzielle Erfolgszug führte parallel dazu zur rückwärtsgewandten Tendenz gängiger Blockbuster-Spiele, an der Filmindustrie orientierte und teils von deren Komponisten inszenierte Breitwand-Soundtracks mit großer Manpower einspielen zu lassen – mit allen gegebenen Problemen. Im Falle von „Destiny“ etwa mussten die Orchesterparts als stimmungsunterstützende Bildunterlage bereits fertig sein, noch ehe die Komponisten Szenen aus dem Spiel zu Gesicht bekamen. Man darf von den Luxusproblemen eines Genres sprechen, das als einstiger Geek längst in der Mitte steht.

(Wiener Zeitung, 13./14.12.2014)

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