Udo Jürgens 1934–2014:
Zum Tod des großen Liedermachers und Entertainers, der stets ein Weltbürger war
und Schlager mit Haltung verknüpfte.
Der
Begriff des „Authentischen“ und vor allem des Aufrichtigen mag im Schlager
stets von geringer Bedeutung gewesen sein, bis er irgendwann endgültig eingerext
wurde und in der Abstellkammer nach hinten links im Juchhe wandern musste. Bei
Udo Jürgens war das Aufrichtige, die Haltung, das Vorleben eines Weges – und
sei dieser auch mit im Schlager eigentlich gar nicht existenten Um- und
Irrwegen verbunden – kein moralinsaures Nebenprodukt, das sich gut herzeigen
ließ. Es war ein zentrales Element, schlicht ein Anliegen. Interviews mit dem
Musiker belegen es ebenso wie sein umfangreiches Werk.
Keine
Beschwichtigung
Von
den rund 1.000 Liedern, die der am 30. September 1934 als Udo Jürgen Bockelmann
in Klagenfurt geborene Komponist, Sänger und Pianist zeit seiner Karriere
schreiben sollte, traten bereits die frühesten nicht in die Klischeefalle des
(von ihm nicht zuletzt auch um Chansons erweiterten) Genres. Udo Jürgens verfasste
keine Verdrängungs- oder Beschwichtigungsschlager – er adressierte und benannte
Problemfelder, um sie mit allgemein verständlichen Botschaften in drei bis vier
Spielminuten zu bündeln, an deren Ende trotzdem eine zuversichtliche Note stand.
Das galt für den Gefühlshaushalt ebenso wie für gesellschaftliche
Befindlichkeiten, die als Jürgensʼ Hauptspielfelder vom Leben geschrieben und
aus Hoffnung geschöpft der Hörerschaft Trost spenden sollten. Nicht nur mehr
als 100 Millionen verkaufte Tonträger beweisen die Schlagkraft dieses so scheinbar
simplen Konzepts, das Udo Jürgens mit gleichfalls nur scheinbar simplen Songs
in die Welt entließ.
Zur
Musik kam Jürgens zunächst als Autodidakt. Als Sohn deutscher Eltern in
großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, studierte er nach Abbruch der
Schulausbildung nur ein Jahr vor der Matura am Salzburger Mozarteum Musik. Nach
ersten Karriereschritten in den 50er Jahren und mit verminderter Hörleistung,
verursacht durch die Ohrfeige eines Gruppenführers der Hitlerjugend, die ihm
als mahnender Nachhall des Zweiten Weltkriegs erhalten blieb, gelang ein früher
Coup 1960 mit dem für Shirley Bassey geschriebenen Welthit „Reach For The
Stars“. Nach zweimaliger Teilnahme am Eurovision Song Contest, die mit „Warum
nur, warum?“ 1964 einen 6. und mit „Sag ihr, ich laß sie grüßen“ 1965 einen 4.
Platz gezeitigt hatte, sowie nach der Komposition des letztlich von Sammy Davis
junior interpretierten „If I Never Sing Another Song“ für Frank Sinatra war mit
„Merci, Chérie“ 1966 im dritten Anlauf nicht nur der Sieg des Wettbewerbs
gelungen, sondern endgültig auch der Durchbruch als Solokünstler geschafft.
Ein Sir und Lebemann
Bereits
auf frühen, noch um englischsprachige Coverversionen ergänzten Alben wie etwa
der 1967 veröffentlichten Aufwärmübung „Was ich dir sagen will“ demonstrierte
Jürgens sämtliche Kernkompetenzen. „Immer wieder geht die Sonne auf“ etwa
mochte die Dunkelheit als fixe Größe im Leben zwar bereits zur Kenntnis
genommen haben, um sie stellvertretend für das Publikum allerdings nicht zu
akzeptieren – und sich ihr, zu melancholisch gefärbtem, aber letztlich befreiend-hymnischem
Grundton, entschieden entgegenzustemmen. Zur Zeit des „Summer of Love“ und auch
später sämtlichen Strömungen zwischen Punk und New Wave trotzend, kultivierte
Jürgens parallel dazu das Image des Entertainers als zeitloser Klassiker. Im Anzug
mit Stecktuch und passender Krawatte gab er den Kosmopoliten ebenso überzeugend
wie den Gentleman, Frauenversteher und weiß Gott auch den Lebemann. Zwei
geschiedene Ehen und zahlreiche Affären, aus denen vier Kinder hervorgingen,
künden davon. Seine Familie selbst wurde nicht zuletzt auch im Werk zum Thema.
Mit „Liebe ohne Leiden“ sangen Udo und Jenny Jürgens das vielleicht
berührendste Vater-Tochter-Duett nicht nur der Schlagerbranche. Seinen Respekt,
seine Eifersucht, vor allem aber seine Liebe für Bruder Manfred bekundete er
mit dem noblen „Mein Bruder ist ein Maler“, während er mit dem
autobiografischen Roman „Der Mann mit dem Fagott“ 2004 und dessen TV-Verfilmung
sieben Jahre später durch die Geschichte dreier Bockelmann-Generationen führte.
Ab
den für ihn hocherfolgreichen 70er Jahren schlich sich verstärkt auch eine
gesellschaftspolitische Komponente in die Lieder des Udo Jürgens. „Griechischer
Wein“ behandelte die Sorgen von Gastarbeitern, „Ein ehrenwertes Haus“ stellte
sich gegen die Prüderie um ein Thema, das man seinerzeit „wilde Ehe“ nannte,
und mit „Rot blüht der Mohn“ nahm sich Jürgens auch der Drogenproblematik an.
„Gehet hin und vermehret euch“, das den Papst aus der Diskussion um
Überbevölkerung nicht ausnahm, landete 1988 in Bayern sogar auf dem Index.
Harmlosen, aber natürlich vehement von der österreichischen Region südlich des
Weißwurstäquators wehenden Gegenwind bekam Jürgens zu spüren, als er 1978
„Buenos días, Argentina“ für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft sang. Für
den Weltbürger, der ein Jahr zuvor in die Schweiz gezogen war (wo er
schließlich 2007 auch die Staatsbürgerschaft erhielt), kein Widerspruch,
sondern gelebte Überzeugung ohne Grenzen. „Ich war noch niemals in New York“
als Hit über den Ausbruch aus dem engen Kosmos des kleinen Mannes wiederum war
keinerlei biografische Grundlage beschieden.
Aktiv bis
zuletzt
(Wiener Zeitung, 23.12.2014)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen