Montag, Dezember 22, 2014

Noten der Zuversicht

Udo Jürgens 1934–2014: Zum Tod des großen Liedermachers und Entertainers, der stets ein Weltbürger war und Schlager mit Haltung verknüpfte.  

Der Begriff des „Authentischen“ und vor allem des Aufrichtigen mag im Schlager stets von geringer Bedeutung gewesen sein, bis er irgendwann endgültig eingerext wurde und in der Abstellkammer nach hinten links im Juchhe wandern musste. Bei Udo Jürgens war das Aufrichtige, die Haltung, das Vorleben eines Weges – und sei dieser auch mit im Schlager eigentlich gar nicht existenten Um- und Irrwegen verbunden – kein moralinsaures Nebenprodukt, das sich gut herzeigen ließ. Es war ein zentrales Element, schlicht ein Anliegen. Interviews mit dem Musiker belegen es ebenso wie sein umfangreiches Werk.

Keine Beschwichtigung

Von den rund 1.000 Liedern, die der am 30. September 1934 als Udo Jürgen Bockelmann in Klagenfurt geborene Komponist, Sänger und Pianist zeit seiner Karriere schreiben sollte, traten bereits die frühesten nicht in die Klischeefalle des (von ihm nicht zuletzt auch um Chansons erweiterten) Genres. Udo Jürgens verfasste keine Verdrängungs- oder Beschwichtigungsschlager – er adressierte und benannte Problemfelder, um sie mit allgemein verständlichen Botschaften in drei bis vier Spielminuten zu bündeln, an deren Ende trotzdem eine zuversichtliche Note stand. Das galt für den Gefühlshaushalt ebenso wie für gesellschaftliche Befindlichkeiten, die als Jürgensʼ Hauptspielfelder vom Leben geschrieben und aus Hoffnung geschöpft der Hörerschaft Trost spenden sollten. Nicht nur mehr als 100 Millionen verkaufte Tonträger beweisen die Schlagkraft dieses so scheinbar simplen Konzepts, das Udo Jürgens mit gleichfalls nur scheinbar simplen Songs in die Welt entließ.

Zur Musik kam Jürgens zunächst als Autodidakt. Als Sohn deutscher Eltern in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, studierte er nach Abbruch der Schulausbildung nur ein Jahr vor der Matura am Salzburger Mozarteum Musik. Nach ersten Karriereschritten in den 50er Jahren und mit verminderter Hörleistung, verursacht durch die Ohrfeige eines Gruppenführers der Hitlerjugend, die ihm als mahnender Nachhall des Zweiten Weltkriegs erhalten blieb, gelang ein früher Coup 1960 mit dem für Shirley Bassey geschriebenen Welthit „Reach For The Stars“. Nach zweimaliger Teilnahme am Eurovision Song Contest, die mit „Warum nur, warum?“ 1964 einen 6. und mit „Sag ihr, ich laß sie grüßen“ 1965 einen 4. Platz gezeitigt hatte, sowie nach der Komposition des letztlich von Sammy Davis junior interpretierten „If I Never Sing Another Song“ für Frank Sinatra war mit „Merci, Chérie“ 1966 im dritten Anlauf nicht nur der Sieg des Wettbewerbs gelungen, sondern endgültig auch der Durchbruch als Solokünstler geschafft.

Ein Sir und Lebemann

Bereits auf frühen, noch um englischsprachige Coverversionen ergänzten Alben wie etwa der 1967 veröffentlichten Aufwärmübung „Was ich dir sagen will“ demonstrierte Jürgens sämtliche Kernkompetenzen. „Immer wieder geht die Sonne auf“ etwa mochte die Dunkelheit als fixe Größe im Leben zwar bereits zur Kenntnis genommen haben, um sie stellvertretend für das Publikum allerdings nicht zu akzeptieren – und sich ihr, zu melancholisch gefärbtem, aber letztlich befreiend-hymnischem Grundton, entschieden entgegenzustemmen. Zur Zeit des „Summer of Love“ und auch später sämtlichen Strömungen zwischen Punk und New Wave trotzend, kultivierte Jürgens parallel dazu das Image des Entertainers als zeitloser Klassiker. Im Anzug mit Stecktuch und passender Krawatte gab er den Kosmopoliten ebenso überzeugend wie den Gentleman, Frauenversteher und weiß Gott auch den Lebemann. Zwei geschiedene Ehen und zahlreiche Affären, aus denen vier Kinder hervorgingen, künden davon. Seine Familie selbst wurde nicht zuletzt auch im Werk zum Thema. Mit „Liebe ohne Leiden“ sangen Udo und Jenny Jürgens das vielleicht berührendste Vater-Tochter-Duett nicht nur der Schlagerbranche. Seinen Respekt, seine Eifersucht, vor allem aber seine Liebe für Bruder Manfred bekundete er mit dem noblen „Mein Bruder ist ein Maler“, während er mit dem autobiografischen Roman „Der Mann mit dem Fagott“ 2004 und dessen TV-Verfilmung sieben Jahre später durch die Geschichte dreier Bockelmann-Generationen führte.

Ab den für ihn hocherfolgreichen 70er Jahren schlich sich verstärkt auch eine gesellschaftspolitische Komponente in die Lieder des Udo Jürgens. „Griechischer Wein“ behandelte die Sorgen von Gastarbeitern, „Ein ehrenwertes Haus“ stellte sich gegen die Prüderie um ein Thema, das man seinerzeit „wilde Ehe“ nannte, und mit „Rot blüht der Mohn“ nahm sich Jürgens auch der Drogenproblematik an. „Gehet hin und vermehret euch“, das den Papst aus der Diskussion um Überbevölkerung nicht ausnahm, landete 1988 in Bayern sogar auf dem Index. Harmlosen, aber natürlich vehement von der österreichischen Region südlich des Weißwurstäquators wehenden Gegenwind bekam Jürgens zu spüren, als er 1978 „Buenos días, Argentina“ für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft sang. Für den Weltbürger, der ein Jahr zuvor in die Schweiz gezogen war (wo er schließlich 2007 auch die Staatsbürgerschaft erhielt), kein Widerspruch, sondern gelebte Überzeugung ohne Grenzen. „Ich war noch niemals in New York“ als Hit über den Ausbruch aus dem engen Kosmos des kleinen Mannes wiederum war keinerlei biografische Grundlage beschieden.

Aktiv bis zuletzt

Im Alter wurde Udo Jürgens zwar ruhiger und gelassener, wenn es darum ging, einstige Exzesse zu kontrastieren und den nun auch tatsächlich zum Lebensabschnitt passenden Sir zu geben. Für sein Publikum allerdings blieb er stets hochaktiv. Zunächst mit Pepe Lienhard und seinem Orchester im Hintergrund, am Ende ikonografisch im Bademantel alleine am Flügel, so spendete Udo Jürgens bis zuletzt Trost, Rat und Hoffnung. Seine „Mitten im Leben“-Tour hätte noch bis in den Frühling gedauert, wäre Udo Jürgens nicht am Sonntagabend 80-jährig überraschend beim Spazierengehen einem Herzversagen erlegen. Niemand hätte treffendere Worte für das Werk und für das gesamte Leben des Udo Jürgens bis hin zum Tod parat als Gabriel García Márquez: „Weine nicht, weil es vorbei ist, lache, weil es überhaupt passiert ist.“    

(Wiener Zeitung, 23.12.2014) 

Keine Kommentare: