Samstag, Juli 11, 2015

Auf Jandls Spuren

schall & rauch

Martin Gore von Depeche Mode war der musikalische Held meiner Jugend, Ernst Jandl der literarische. Jandls Gedichtbände eröffneten mir die Möglichkeiten der Sprache, Sekundärliteratur wies ihn als die spannende Persönlichkeit aus, als die er vermutet wurde, und dank Lesungsmitschnitten auf Kassette war der Meister auch bei mir zuhause greifbar nahe. Ich begann, mich selbst an konkreter Poesie zu versuchen, mit mangelndem Talent, aber dem Spaß eines 15-Jährigen an der Freudʼ – der für einen Jugendliteraturwettbewerb eingereichte Beitrag „Verschmelzung zweier Vokale (Drama)“ wurde immerhin von den „Oberösterreichischen Nachrichten“ abgedruckt –, und es bestand kein Zweifel an meinem Plan, in Musik und Deutsch fächerübergreifend zum Thema Ernst Jandl zu maturieren.

Jandl starb am 9. Juni 2000. Die aus seinem Gedicht „zwei erscheinungen“ entnommene Traueranzeige („ich werde dir erscheinen / wie stets ich erschienen dir bin / und du wirst weinen / denn ich bin dahin“) traf die Stimmung. Zu einem Besuch des Dichters am Grab kam es aber erst dieser Tage. Am Wiener Zentralhof begegne ich einem Steinkubus samt Skulptur, einer schnörkellosen, unprätentiösen Ruhestätte, die in der Nähe ein mächtiger Flügel aus Marmor kontrastiert. Es ist das Grab von Udo Jürgens, an dem – sechs Monate nach seinem Tod – Touristen stehen und weinen, als ich, 15 Jahre nach dessen Tod, vor Ernst Jandl stehe, und rasch die Erinnerung anklopft.

Es gibt ein Foto von mir, das vor dem Wohnhaus Jandls entstand, als ich auf seinen Spuren durch Wien spazierte. Mein Vater hat es gemacht, mir danach den Jandl-Gedenkband „a komma punkt“ gekauft und ihn unterschrieben, „damit du dich an mich erinnerst, wenn ich nicht mehr lebe“. Das war kurz, bevor er – unerwartet und ein Jahr nach Jandl – gestorben ist, mit 45, dem Alter, das ich haben werde, wenn knapp weniger als die nächsten 15 Jahre vergangen sind.

Mein Vater war Udo-Jürgens-Fan und ich erinnere mich an die Durchforstung der CDs für die Musik zu seinem Begräbnis, daran, dass mir die Nummer „Heute beginnt der Rest deines Lebens“ auffiel und eine seltsame Bedeutung annahm, aber nicht mehr, für welchen Song wir uns entschieden haben. Mir fällt ein, dass ich vor einem halben Jahr einen Nachruf auf Udo Jürgens schreiben musste und dass das ebenso seltsam und erinnerungsauslösend war wie der 13. März 2012, als bei meinem einzigen Udo-Jürgens-Konzert in der Wiener Stadthalle „Heute beginnt der Rest deines Lebens“ auf der Setlist stand. Daran denke ich, als ich Ernst Jandl besuche und im Hintergrund die Udo-Jürgens-Fans weinen.

(Wiener Zeitung, 11./12.7.2015)

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