Mittwoch, Juli 08, 2015

Inselrock und Gelsenlieder

Paul Weller euphorisierte sein Publikum im Rahmen des Jazz Fest Wien in der Staatsoper

Der Mann sieht natürlich auch im Alter von 57 Jahren fantastisch aus. Und es gehört ein wenig zum guten Ton, das auch zu erwähnen. Immerhin wird Paul Weller, heute fesch mit frisch gewichsten Lederschuhen, Anzughose und sicherlich keine Speckfalte freilegendem Slim-Fit-Shirt, von Farbmagazinen gerne als bestgekleideter Mann (des Lumpenrock / von Südengland / der Welt) ausgezeichnet. Live auf der Bühne erstrahlen darf er aktuell neben einem Hünen am Bass, der eine Schlaghose trägt, seinem Keyboarder, der aus dem Cast von Austin Powers ausgeborgt wurde, und zwei Schlagzeugern, die mit pflegeleichten Out-of-bed-Frisuren die Britpopper von 1991 vor einem Bewerbungsgespräch bei Oasis geben. Den (fantastischen) Gitarristen mit den dunklen Sonnenbrillen wiederum kennt man vom letzten Ausflug nach London als den Stammgast im Pub, der nie ein Wort sagt. Außer beim Bierbestellen.

Beste Spiellaune

Dass Paul Weller nicht nur bei mit ihm im sechsten Lebensjahrzehnt stehenden „Rolling Stone“-Lesern beliebt ist und der Hörerschaft als eine Art Säulenheiliger des Inselrock gilt, ist im Rahmen des Jazz Fest Wien in der Staatsoper bereits dem Begrüßungsapplaus zu entnehmen. Immerhin hat der gute Mann mit seiner Band The Jam einst klassischen Sixties-Rock ruppig mit dem Zeitgeist der Punk-Ära kurzgeschlossen, bevor er mit Mick Talbot von Kevin Rowlands großen Dexys Midnight Runners als The Style Council von einer enormen stilistischen Bandbreite befeuerten Edelpop mit slicken Soulnoten reichte.

Heute im Konzert wird sich Weller aber gewohnt unnostalgisch auf seine Solokarriere konzentrieren, im Laufe derer er mit zwölf Alben bis herauf zum aktuellen Meisterwerk „Saturns Pattern“ weder sich selbst noch der Welt etwas beweisen musste, es aber trotzdem tat. Live setzt es einen stets nachdrücklichen und teils entfesselten Auftritt, der nur von Wellers sympathischer Maulfaulheit mit wenigen britisch per „ey?“ (oder so) abgeschlossenen Sätzen und drei, vier Mal einem „Nkju“ zum Dank kontrastiert wird. So eilig und den Eindruck erheblicher Übermotivation erweckend Weller eingangs Song an Song reiht, kommt die nach gut 95 Minuten zum Glück widerlegte These auf, die Setlist könnte heute rasch abgespult sein.

Noch vergleichsweise mit angezogener Handbremse eröffnet das nicht eigens für die Staatsoper geschriebene „I’m Where I Should Be“, „Long Time“ zwischen Handclaps und beigestelltem Brodeln aus dem Moog-Synthesizer ist im Anschluss das erste Brett des Abends, beim trocken groovenden „From The Floorboards Up“ ist dem Publikum im Stroboskopgewitter bereits nach Zicke-Zacken zumute. Es darf zwischen Schwurbelfunk und einer ausufernden Version von „Whirpool’s End“ als Höhepunkt auch mäandernde Wah-Wah-Passagen geben, bei denen beste Spiellaune regiert.

Tranklerfreuden

Dazwischen wird mit mächtigen, die Sonnenbrille des Pub-Kollegen jetzt als Blickschutz gegen feuchte Augen erklärenden Balladen wie „You Do Something To Me“ mit Paul Weller am Klavier sowie jede Menge Soulfulness verbreitenden Göttersongs wie „Above The Clouds“ aber auch für Rührung gesorgt. Vor den verdienten Standing Ovations und nach sehr vielen Gitarrenwechseln gibt es mit „Start!“ dann auch noch eine Erinnerung an The Jam im kess schwingenden Tanzcafé-Jenseits-Beat.

Als Kontrast auch vom Tempo her sehr österreichisch kredenzt davor Ernst Molden seine Chanson, Blues und Wienerlied vereinenden Songs mit Spielstätten in Waidhofen, Wien Heiligenstadt und der Hammerschmidgossn und Kernthemen wie Tranklerfreuden und Selbstmordgedanken als hochwillkommenen Spritzwein. Derzeit plus Saxofon kündet ein neuer Song aber auch von den Donauauen als hiesiges Mississippi-Delta und dessen Hauptbewohnerin, einer Sau namens Gelse, die an diesem hocherfreulichen Abend in der Oper außer Stichweite blieb. Nkju! 

(Wiener Zeitung, 9.7.2015) 

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