Freitag, Juli 03, 2015

Klaviertennis mit McEnroe

Chilly Gonzales triumphierte am Jazz Fest Wien als Entertainer der Kammermusik

Chilly Gonzales steht im Bademantel als Pantoffelheld auf der Bühne. Es ist ihm allerdings ziemlich egal, er macht das jeden Tag. Dass wir uns heute in der altehrwürdigen Staatsoper zu Wien und somit im zumindest historisch weltbedeutenden Land der großen Musikmeister und Meistermusiker wie na, na, na, dem einen, der „Rock Me Amadeus“ gesungen hat, befinden, wird allerdings noch durchaus gewürdigt. Immerhin bezeichnet Chilly Gonzales am Flügel sinnierend Richard Wagner als „Asshole“, dessen Musik man sich keineswegs anhören sollte, um ihn und Johannes Brahms als Rapper The Notorious B.I.G. und Tupac ihrer Zeit zu porträtieren – und danach auf die Jazzfans im Publikum loszugehen. Man befindet sich heute ja nicht nur in der Oper, sondern auch auf einem Jazzfestival. Also irgendwie halt, „technically!“

Schelmische Didaktik

Das Ganze hat natürlich einen todernsten Hintergrund. Aber. So ganz sicher kann man sich da auch wieder nicht sein. Bei Chilly Gonzales gibt es immer einen doppelten Boden, wenn im Baumarkt gerade kein fünffacher verfügbar ist. Dabei kann der Mann mit einer einzigen Handbewegung komischer sein als ein Raum voll deutscher Comedians, die man vorsichtshalber eh schon mit Lachgas gedopt hat.

Musikalisch wird der 1972 als Jason Charles Beck in Kanada geborene Songwriter, Komponist, Produzent, Pianist und Entertainer heute am Jazz Fest Wien beinahe noch greifbar bleiben. Das ist ein Wunder. Schließlich kennt man ihn an sich als Freund des künstlerischen Bocksprungs, bei dem zwischen ironisch gebrochenem Hip-Hop, Soft-Rock und Soloklavier alles geht, sofern nicht gerade ein Weltrekord für das längste je gegebene Konzert aufgestellt wird oder er für Freundinnen wie Peaches oder Feist Musik produziert, die Finger also überall ein wenig im Spiel hat. Derzeit allerdings wird mit dem Kaiser Quartett aus Hamburg Kammermusik für das Heute gegeben, bei der man nicht nur an Erik Satie denken darf, um davon ausgehend live auch schelmische Musikdidaktik in Sachen Dur/Moll, alte Meister und Strichart zu reichen. Chilly Gonzales kann sehr schön absichtlich die Beatles mit den Rolling Stones verwechseln und es von Igor Strawinskis „Le sacre du printemps“-Uraufführung zum Wutbürgertum auf Twitter in einem Halbsatz schaffen. Das ist fast so gut wie die Erklärung einzelner aktueller Stücke etwa als musikalischer Pointillismus, inspiriert von Wimbledon 1980 und John McEnroe. Also sensationell!

Wenn nicht gerade ein Schlagzeuger auf die Bühne gestellt wird, um nach einem Stück Schweigepause exakt einen Schlag zu setzen, kann Chilly Gonzales zwischendurch im Walzertakt den größenwahnsinnigen Rapper mit den dicken Eiern mimen. Er muss gerade hier in Österreich als Bademantelmusiker bewegend („Zum Schunkeln!“) aber auch auf Udo Jürgens verweisen. Das heute für ein Selfie dabei sein müssende städtische Hipstertum wird es eh nicht bemerken. Chilly Gonzales ulknudelt dann lieber über den sexy Sound deutscher Wörter wie „Kartoffel“, kann aber auch ohne Skript sehr lustig sein. Hinter einem mächtigen Störgeräusch am Ende des Auftritts wird nichts Geringeres vermutet als der Geist Richard Wagners, dem bei Gonzales sauber das Geimpfte aufgeht.

Großes Tennis

Tatsächlich ist das Störgeräusch aber nur das übriggebliebene Tonproblem von Plaza Francia, die als Abordnung des auf Tango 2.0 mit Cocktailschirmchen gebuchten Gotan Project stilistisch breit beeinflusste Amor-meets-Dolor-Innigkeitslieder samt Loungefeeling spielen, und als Höhepunkt Catherine Ringer von Les Rita Mitsouko an der Front vorweisen können. Auf Stöckelschuhen mit Hüftschwung darf diese hochsympathisch ein bisschen die kapriziöse Diva und Drama-Queen geben. Nicht nur, weil der gespielte Witz des Abends mit dem großen Tennis des Chilly Gonzales als – blop! – kontrapunktischer Return daherkommen wird. 

(Wiener Zeitung, 4./5.7.2015)

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