Chilly Gonzales
triumphierte am Jazz Fest Wien als Entertainer der Kammermusik
Chilly
Gonzales steht im Bademantel als Pantoffelheld auf der Bühne. Es ist ihm allerdings
ziemlich egal, er macht das jeden Tag. Dass wir uns heute in der altehrwürdigen
Staatsoper zu Wien und somit im zumindest historisch weltbedeutenden Land der
großen Musikmeister und Meistermusiker wie na, na, na, dem einen, der „Rock Me
Amadeus“ gesungen hat, befinden, wird allerdings noch durchaus gewürdigt.
Immerhin bezeichnet Chilly Gonzales am Flügel sinnierend Richard Wagner als „Asshole“,
dessen Musik man sich keineswegs anhören sollte, um ihn und Johannes Brahms als
Rapper The Notorious B.I.G. und Tupac ihrer Zeit zu porträtieren – und danach
auf die Jazzfans im Publikum loszugehen. Man befindet sich heute ja nicht nur
in der Oper, sondern auch auf einem Jazzfestival. Also irgendwie halt, „technically!“
Schelmische
Didaktik
Das
Ganze hat natürlich einen todernsten Hintergrund. Aber. So ganz sicher kann man
sich da auch wieder nicht sein. Bei Chilly Gonzales gibt es immer einen
doppelten Boden, wenn im Baumarkt gerade kein fünffacher verfügbar ist. Dabei kann
der Mann mit einer einzigen Handbewegung komischer sein als ein Raum voll
deutscher Comedians, die man vorsichtshalber eh schon mit Lachgas gedopt hat.
Musikalisch
wird der 1972 als Jason Charles Beck in Kanada geborene Songwriter, Komponist,
Produzent, Pianist und Entertainer heute am Jazz Fest Wien beinahe noch
greifbar bleiben. Das ist ein Wunder. Schließlich kennt man ihn an sich als Freund
des künstlerischen Bocksprungs, bei dem zwischen ironisch gebrochenem Hip-Hop,
Soft-Rock und Soloklavier alles geht, sofern nicht gerade ein Weltrekord für
das längste je gegebene Konzert aufgestellt wird oder er für Freundinnen wie
Peaches oder Feist Musik produziert, die Finger also überall ein wenig im Spiel
hat. Derzeit allerdings wird mit dem Kaiser Quartett aus Hamburg Kammermusik
für das Heute gegeben, bei der man nicht nur an Erik Satie denken darf, um
davon ausgehend live auch schelmische Musikdidaktik in Sachen Dur/Moll, alte
Meister und Strichart zu reichen. Chilly Gonzales kann sehr schön absichtlich
die Beatles mit den Rolling Stones verwechseln und es von Igor Strawinskis „Le
sacre du printemps“-Uraufführung zum Wutbürgertum auf Twitter in einem Halbsatz
schaffen. Das ist fast so gut wie die Erklärung einzelner aktueller Stücke etwa
als musikalischer Pointillismus, inspiriert von Wimbledon 1980 und John McEnroe.
Also sensationell!
Wenn
nicht gerade ein Schlagzeuger auf die Bühne gestellt wird, um nach einem Stück
Schweigepause exakt einen Schlag zu setzen, kann Chilly Gonzales zwischendurch im
Walzertakt den größenwahnsinnigen Rapper mit den dicken Eiern mimen. Er muss
gerade hier in Österreich als Bademantelmusiker bewegend („Zum Schunkeln!“) aber
auch auf Udo Jürgens verweisen. Das heute für ein Selfie dabei sein müssende
städtische Hipstertum wird es eh nicht bemerken. Chilly Gonzales ulknudelt dann
lieber über den sexy Sound deutscher Wörter wie „Kartoffel“, kann aber auch
ohne Skript sehr lustig sein. Hinter einem mächtigen Störgeräusch am Ende des
Auftritts wird nichts Geringeres vermutet als der Geist Richard Wagners, dem
bei Gonzales sauber das Geimpfte aufgeht.
Großes Tennis
Tatsächlich
ist das Störgeräusch aber nur das übriggebliebene Tonproblem von Plaza Francia,
die als Abordnung des auf Tango 2.0 mit Cocktailschirmchen gebuchten Gotan
Project stilistisch breit beeinflusste Amor-meets-Dolor-Innigkeitslieder samt
Loungefeeling spielen, und als Höhepunkt Catherine Ringer von Les Rita Mitsouko
an der Front vorweisen können. Auf Stöckelschuhen mit Hüftschwung darf diese
hochsympathisch ein bisschen die kapriziöse Diva und Drama-Queen geben. Nicht
nur, weil der gespielte Witz des Abends mit dem großen Tennis des Chilly
Gonzales als – blop! – kontrapunktischer Return daherkommen wird.
(Wiener Zeitung, 4./5.7.2015)
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