Merrill
Garbus und das tanzbar-politische neue Album ihres Projekts Tune-Yards.
Den
Grundton des Albums - und dessen Hang zur latenten Ton-Text-Schere - steckt
gleich das Eröffnungsstück ab. Immerhin heißt die Nummer zwar "Heart
Attack" und beinhaltet auch ein Eingeständnis menschlicher Schwäche. Bis
auf ein hübsch melancholisches Zwischenspiel mit Streichquartett kommt dieser
belebende Song aber als gutes Heilmittel gegen allfällige Probleme und vor
allem den Alltagsgrant daher. Hört man ihn etwa auf der Fahrt in der
überfüllten U-Bahn in die Arbeit, wird man nicht nur deshalb gut drauf sein,
weil man das Gejammere rund um einen herum nicht mehr hört. Die grundsätzlich
ins Licht drängende Nummer sorgt auch aus sich selbst heraus für gute
Vibrationen. Zwischen Klavierakkorden der Marke Neo-Soul, einem technoiden
Vierviertelbeat aus dem Drumcomputer und der ausdrucksstarken und immens
kraftvollen Stimme der Projektleiterin Merrill Garbus lässt beinahe das ganze
neue Album ihrer Tune-Yards das Tanzbein unruhig werden. Vermutlich kann man zu
dieser Musik auch gut laufen, wenn einem nach dem Heimweg in der U-Bahn (wir
hören nichts, wir hören Musik!) auch noch nach Work-out ist.
Steil
auffrisiert
Allerdings
ist dieser Umstand aus zwei Gründen erstaunlich: Einerseits liegen die
Ursprünge der im Wesentlichen aus Garbus selbst bestehenden Unternehmung, an
deren Sound der nun fix ins Line-up aufgerückte Bassist Nate Brenner heute auch
als Co-Produzent stärkeren Anteil hat, in per Diktiergerät aufgenommenen
Lo-Fi-Miniaturen - die aktuell forcierte Hinwendung zum Pop wird nur mehr
zwischendurch von störrischen Effekten durchkreuzt. Andererseits sind es vor
allem die Inhalte, die eigentlich ein dunkleres Klangbild erwarten lassen.
Irgendwo zwischen politischen Reflexionen, die ohne Fingerzeig auch nach der
eigenen Mitschuld an den Miseren unserer Zeit Ausschau halten, der
Beschäftigung mit Genderfragen und vor allem dem Thema Rassismus unter
besonderer Berücksichtigung von "White Supremacy" fallen nicht
zuletzt aktuelle Interviews mit der 38-jährigen Neuengländerin so klug wie auch
etwas anstrengend aus.
Erneut
auf dem 4AD-Label veröffentlicht, erlebt man auf "I Can Feel You Creep
Into My Private Life", dem vierten Album der 2006 gegründeten Tune-Yards,
die Westküste der USA beim Brennen und die Ostküste beim Untergehen. Es geht um
den gerade in Zeiten von "Fake News" wieder wichtigen
Wahrheitsbegriff oder gespaltene Gesellschaften mit schlechtem Klima ("I
know your language, but I wish it were silence / The seeds are sown in all the
small acts of violence"). Und nicht zuletzt in Stücken wie
"Colonizer" denkt Garbus mit, was an geistigem Eigentum aus
Fremdquellen sie sich selbst dienlich macht, wenn sie ihre Songs mit
afrikanischen Gruppengesängen und zackigem Afropop steil auffrisiert. Darf man
das, wenn die eigene Disposition auf politische Korrektheit gestellt ist? Alles
ist sehr kompliziert. Merrill Garbus thematisiert das, und sie konterkariert
die Kopflastigkeit ihrer Texte nicht selten mit Kinderreimen.
Mit
dem geisternden, sich in Richtung Trip-Hop bewegenden "Home" beweisen
die Tune-Yards, dass sie auch im Verschleppten wirkungsmächtig agieren können.
Tanzbare Reflexionen bleiben aber das Hauptaugenmerk. Gute Platte.
(Wiener
Zeitung, 24.1.2018)
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