Eine
erste Veröffentlichung als Musiker wäre eigentlich nicht unerfolgreich gewesen.
Als die eine Hälfte des Duos Kicks Like A Mule stieß Richard Russell im fernen
Jahr 1992 mit der Single "The Bouncer", einem Rave-Track um die hier
wiederholten alten Türstehersätze "Your name’s not down. You’re not coming
in. Not tonight. You’re not on the list", immerhin bis auf Platz sieben
der britischen Charts vor. Ebenso wie sein Kompagnon Nick Halkes, der sich
heute als Artist Manager verdingt, war aber auch der 1971 in Dollis Hill im
Nordwesten Londons geborene Russell damals bereits als Gründer und Betreiber
des renommierten Independent-Labels XL Recordings aktiv, mit dem er bis heute
als Instanz im Geschäft gilt.
Geschicktes
Händchen
Wahrscheinlich
waren auch die gescheiterten Aufnahmen eines Debütalbums mit Kicks Like A Mule
dafür verantwortlich, jedenfalls: Sein Renommee erarbeitete sich der Vater
dreier Kinder im Hintergrund als Verantwortlicher und Ermöglicher, über dessen
Industriekonventionen trotzenden Arbeitsstil auch als konträr eingeschätzte
Musikertypen gleichlautend Positives berichten.
Immerhin
gilt Russell als Mann, der nicht nur Acts wie The Prodigy zu Erfolg verhalf,
was im konkreten Fall einen Schulterschluss aus Rave-Nachwehen und dem
gewöhnlicheren Bandformat mit einmal Rock-Formalismus extra bedeutete. Neben
Platten- oder Distributionsverträgen mit Alternative-Acts wie Radiohead und
deren Chef Thom Yorke als Solokünstler, der britisch-tamilischen Musikerin
M.I.A., dem Afropop-Hit Vampire Weekend oder auch den White Stripes hat sich
Russell auch wiederholt mit Damon Albarn (Blur, Gorillaz) zusammengetan, dessen
2014 erschienenes Solodebüt "Everyday Robots" er etwa co-produzierte.
In
seiner Phase als (wieder) aktiver Soundregisseur ab 2010 verhalf er außerdem
den großen alten Soulmännern Gil Scott-Heron und Bobby Womack zu
breitenwirksamen Comebacks kurz vor ihrem Tod. Und er bewies als Entdecker von
Adele, die er umgehend unter Vertrag nahm, auch ein geschicktes Händchen für
den Pop-Mainstream - oder zumindest für jene Form davon, die Substanz genug
enthält, um ihretwegen keine allumfassenden Sell-out-Vorwürfe zu erhalten.
Nicht zuletzt mit Adele wird es vermutlich dann aber trotzdem zu tun haben,
dass Russell seit einem Ranking der "Sunday Times" von 2015 als 85
Millionen Euro schwer gilt. Mit Arca wiederum luchste Russell zuletzt
ausgerechnet den Kollegen von Mute Records einen Avantgarde-Künstler ab, dessen
Sound mit seiner Arbeit für Björk heute auch einen anderen großen Namen
künstlerisch maßgeblich prägt.
Dass
unter dem Projekt- und Albumnamen "Everything Is Recorded By Richard
Russell" (XL Recordings) nun auch wieder neue eigene Musik vorliegt, hat
vor allem damit zu tun, dass Russell sich vor wenigen Jahren weitgehend aus dem
operativen Tagesgeschäft seines Labels zurückgezogen hat, um heute wieder
eigenen kreativen Gelüsten zu frönen. Dafür werden allwöchentlich zu losen
Jamsessions Gäste ins Heimstudio geladen, die sich auf den zwölf nun
gebündelten Stücken als gute Freunde und neue Bekanntschaften offenbaren.
Mit
dabei sind neben noch dienstjungen Acts wie Soulsänger Sampha oder den
Ibeyi-Zwillingen, deren zwei bisher erschienene Alben Russell produzierte, auch
der Jazz-Saxofonist Kamasi Washington, Scritti-Politti-Mann Green Gartside,
Rapper Giggs - oder, für einen nicht wirklich vernehmbaren Kurzauftritt, laut
Credits auch Peter Gabriel. Mit Stimmsamples und Durchhalteparolen wie
"You are not alone in the battle. You are not alone in the struggle!"
ist hingegen der US-Prediger T. D. Jakes ungleich prominenter vertreten. Das
kommt nicht von ungefähr: Wie Russell in aktuellen Interviews erklärt, bezieht
sich der Titel "Everything Is Recorded . . ." weniger auf den
(technischen) Aufnahmeprozess im Studio, sondern vielmehr auf Lebenserfahrungen,
die vor dem Tod angeblich als Film vor dem geistigen Auge ablaufen. Eine
Autoimmunerkrankung und die Entdeckung der eigenen Hinfälligkeit sind dafür
verantwortlich, dass Russells Arbeit nun auch einen spirituellen Anhauch mit
etwas Trost und jeder Menge Nachdenklichkeit verbindet.
Mensch und
Maschine
Entstanden
ist ein klassisches Produzentenalbum, das die Fingerfertigkeit des demnächst
47-Jährigen in Sachen verspielt-experimentelle Elektronik und - über
eingestreute Samples - seine Vorliebe für 70er-Jahre-Soul und etwas Dub-Reggae
widerspiegelt und gerne auch Einflüsse aus (Chicago-)House, Trip-Hop, Rap und
Londoner Bassmusiken mitnimmt.
Collagierte
Soundscapes stoßen auf organische Elemente, Curtis Mayfield taucht als
stimmlicher Untoter aus dem Musikarchiv auf. Dass es trotz toller,
abgedunkelt-groovender Tracks wie etwa "Wet Looking Road" im Falle
des Titelstücks aber auch zu etwas Gefühlsduselei am Rande zum Kitsch kommen
darf, übersetzt wiederum die Arbeitsweise und den Sound dieses Projekts: Hier
trifft die Maschine immer auch auf den Faktor Mensch.
(Wiener Zeitung, 17.2.2018)
(Wiener Zeitung, 17.2.2018)
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