Krank zu werden bedeutet
heute nicht nur ein Problem, weil es schlecht für den Arbeitgeber, die eigene
Leistungsbilanz oder die ökonomische Gesamtsituation ist. Denkt denn niemand
mehr an die Wirtschaft? Allgemein setzt man damit in Zeiten der totalen Fitness
bis zum Burnout ja ein Signal, dass man irgendwie, irgendwo, irgendwann vielleicht
doch auch noch Grenzen hat. Im Falle des gerne als Entertainmentroboter mit
integrierter, viral unangreifbarer Wundersoftware porträtierten deutschen Schlagersuperstars
Helene Fischer bedeutete die Absage von sieben geplanten Konzerten in Berlin
und Wien aufgrund eines akuten Infekts zusätzlich auch Hysterie und Empörung im
Netz. Publikumsseitig schleppt man sich ja auch marod in die Arbeit, damit man
es nicht mit der Wirtschaftskammer zu tun bekommt. Spiel dich – verkühl dich
nicht! So lautet ein Motto in diesen kalten Zeiten, deren Existenz uns Schlagertexte
im Normalfall verschweigen.
„Ist das nicht verrückt??“
Gut also für den
Finanzsektor, das Versicherungswesen, die Hotellerie, Busunternehmen aus Tirol,
die keine Heizdeckenfahrten mehr anbieten wollen, die Fans und – mit etwas
Glück – auch für die 33-Jährige Sängerin selbst, dass Helene Fischer jetzt endlich
wieder in die Hände spuckt und einen Arbeitsauftrag an ihren 150-köpfigen fixen
Personalstab erteilt, von dem auf der Bühne neben neun Musikern auch zwölf
Tänzer und acht Akrobaten zu sehen sein werden. Ja, nach einem sehr langen Intro,
aus dem sich irgendwann ein Herzklopfen schält, wird es langsam Gewissheit,
dass das erste von „nur“ drei anstatt wie geplant fünf ausverkauften Konzerten
am Stück in der Wiener Stadthalle tatsächlich stattfinden kann. Und als Demonstration,
dass wieder alles in Ordnung ist, legt der Star des Abends gleich mit einer Aufwärmrunde
am Trapez los, die auch so manchen Profisportler atemlos zurücklassen dürfte. Nach
dem Krankenstand vor dem Büro gleich noch in die Muckibude, so sieht heute Leistungsbereitschaft
aus! Helene Fischer sagt, sie ist wieder da – und wir hätten uns das verdient. „Wien,
ist das nicht verrückt??“
Irgendwann hört man an
diesem Abend mit dem Mitzählen auf, wie oft genau sich Helene Fischer zwischen
zahllosen Malen „Ihr Lieben“ und „Wiiiiiiiiien!“ und überhaupt sehr oft „Das
war toll!“ oder „Lasst uns diesen wunderschönen Moment gemeinsam genießen“ dafür
erkenntlich zeigt, dass wir anwesend sind. Diese Frau ist dankbar, bis die
Rettung kommt! Vermutlich hat das auch mit den Songtexten zu tun, für die gut
und gerne sechsköpfige Autorenteams alles daran setzen, ein mögliches „Ich“ kleinzuhalten
– und psychologisch gefinkelt stattdessen ein Du, Du, Du in den Vordergrund
stellen, hinter dem sich immer auch wir verstecken. Das geht nicht selten mit
Selbstverleugnung einher. Hallo, Helene Fischer schüttelt im
Lack-und-Leder-Block des Abends auf der jetzt zum Laufhaus umfunktionierten
Bühne das Haar für uns und singt dazu Zeilen wie: „Der Tisch gedeckt, der Wein
schon kalt. Aber du bist noch nicht da. (...) Was hast du nur
mit mir gemacht, dass ich dir soviel verzeih?“ Leider sind die Feministinnen gerade im Internetz und nicht live in
der Stadthalle, wo man sie jetzt wirklich gut brauchen könnte.
Mein Gott, sie schwitzt!
Der dazugehörige Song
heißt „Ich will immer wieder … dieses Fieber spürʼn“, hat nichts mit dem
überstandenen Infekt zu tun und beweist eventuell auch aus anderen Gründen eine
mittlere Weltsensation: Mein Gott, die Frau kann ja doch schwitzen! Gerade auch
aus Sicht der Presseloge herrscht also Erleichterung, dass man damit heute
nicht alleine ist. Es fühlt sich irgendwie demokratisch an. Passend hierzu wird
Helene Fischer übrigens auch noch der Satz „Ich will ja nicht zu politisch
werden …“ über die Lippen kommen. Allerdings folgt dann eh keine sowieso nicht
erwartete Brandrede gegen die AfD oder den Abgasskandal daheim bei VW, sondern
ein politisch schwammiges Bekenntnis zum Zusammenhalt. Immerhin. Auf das Wort „Weltfrieden“
wird verzichtet.
Einen Song für den mit
Helene Fischer verpartnerten Branchenkollegen Florian Silbereisen gibt es auch.
Es ist allerdings „Lieb mich dann“ – und nicht „Wir brechen das Schweigen“. Und
rund um gleich 18 Songs aus dem konsequenterweise „Helene Fischer“ betitelten
aktuellen Album von Helene Fischer und die von einer Abordnung des Cirque du
Soleil gleichfalls mit strenger Körperbeherrschung überspielten Umziehpausen
(außer dem Lack-und-Leder-Look aktuell im Sortiment: ein Rock aus Wasser in
Springbrunnenform, eine Sportdress, wie sie von gedopten weißrussischen Bodenturnerinnen
in den 70er Jahren getragen wurde, aufgemotzt mit High Heels mit Pailletten – oder
auch eine Art Stoff gewordener Pizzaburger in Form eines Braut- und Nachtkleids
mit einmal freiliegender Unterwäsche extra) überrascht eines dann doch:
Abgesehen von den drei, vier größten Hits und auch bei drastischer Beigabe von
Blitzhüttenelektronik sehen die Sitzreihen in der Stadthalle so starr und
bewegungslos aus wie sonst nur bei einer Tagung der Einheitspartei in Pjöngjang,
wenn gerade der Führer spricht.
Nach geschlagenen dreieinhalb
Stunden Programm inklusive Pause und „Atemlos durch die Nacht“ im Konfettiregen
ist die Arbeitsmoral von Helene Fischer hinreichend vorgeturnt und das Publikum
jedenfalls glücklich. Eine Erklärung dafür braucht es eigentlich nicht. Die Leute
lesen Paulo Coelho ja auch.
(Wiener Zeitung, 17.2.2018)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen