Freitag, März 24, 2023

Besser schlafen mit Lana Del Rey

Die US-Musikerin sorgt mit ihrem nächsten neuen Album für gehobene Dämmerzustände.

Die auf Interpunktion verzichtende Frage des etwas sperrigen Albumtitels „Did You Know That There’s A Tunnel Under Ocean Blvd“ (Universal Music) ist schnell beantwortet: Nein, natürlich nicht, zum Glück aber gibt es Google (für uns alte, also über 30-jährige Menschen) oder ChatGPT (für hippe Early Adopter), die uns darüber aufklären, dass sich Lana Del Rey damit auf einen unterirdischen Gang in Long Beach bezieht, der dort bis ins Jahr 1967 zum Vergnügungsviertel sowie zum Stadtstrand geführt hat. Warum die US-Songwriterin und Sängerin ausgerechnet auf diesen Ort kommt, wäre jetzt natürlich interessant, ihrem so etwas wie die große amerikanische Erzählung im Balladenformat fortschreibenden Gesamtwerk wird damit jedenfalls eine weitere Fußnote hinzugefügt.

Valiumgesang

Nach mit „Chemtrails Over The Country Club“ und „Blue Banisters“ gleich zwei ausladenden Alben im Jahr 2021 und einem Jahr Funkstille im Anschluss ist der mittlerweile neunte Longplayer der 1985 als Elizabeth Woolridge Grant geborenen Musikerin erneut einigermaßen umfangreich ausgefallen – und dabei durchaus länglich geraten. Gleich 16 von Lana Del Rey vorab als teils „super long and wordy“ beschriebene Songs, die uns ihre „innermost thoughts“ präsentieren sollen, werden diesmal gereicht, und dass sich diese als durchaus geschwätzig erweisen, wie man bereits an Titeln wie „Grandfather Please Stand On The Shoulders Of My Father While He’s Deep-Sea Fishing“ ablesen kann, macht die Sache nicht besser. Kommt dann noch Del Reys ureigener Valiumgesang hinzu, der uns in einer Art Bewusstseinsstrom mäandernde Textkonvolute ins Ohr haucht und flüstert, ist es auch schon geschehen: Wo auch immer man dieses Album hören sollte, es ist auf jeden Fall gut, jemanden dabei zu haben, der einen irgendwann wieder aufweckt.

Akustischer Weichzeichner

Für sich genommen ist mit einzelnen Stücken wie etwa „The Grants“ gleich zum Auftakt zwar wieder für großes Balladenkino gesorgt, das, um geseufzte Zeilen wie „Do you think about heaven / Do you think about me?“ ergänzt, tatsächlich sämtliche Trümpfe ausspielt. Auf Dauer ist das alles allerdings viel zu viel, zumal Lana Del Rey und insgesamt fünf Co-Produzenten um ihren alten Vertrauten Jack Antonoff die zumeist auf Klavier und Streichern basierenden Songs heute mit so etwas wie einem akustischen Weichzeichner belegen. Daraus ergibt sich eine Atmosphäre, die das Album als den Musik gewordenen Tagtraum an der Hörerschaft vorbeigleiten lässt, den es gleichermaßen befördert.

Auf den schnellen Hit ist die 37-Jährige hier also nicht aus, auch wenn sie mit der Soft-Folk-Ballade „Let The Light In“ im Duett mit Father John Misty erklärt, dass sie einen solchen zu jeder Zeit aus dem Talon zaubern könnte. Das dabei besungene Licht, das man Gott (also Karel Gott und seiner Kollegin Darinka) zufolge fangen und festhalten muss, schimmert übrigens an diversen Stellen des Albums durch, um damit so etwas wie ein Ringen um Hoffnung und Zuversicht zu unterstreichen. So bezieht sich „Kintsugi“ nicht nur auf eine japanische Reparatur- und Verschönerungstechnik für zerbrochene Haushaltskeramik, sondern mit der Zeile „Like the cracking, the light gets in“ auch auf Leonard Cohen: „There is a crack in everything . . .“

Das „spirituelle Element“, das Lana Del Rey eigenen Aussagen zufolge auf dem Album mit dabei haben wollte, macht sich zwischendurch in Form von Gospelgesängen sowie mit einer Predigt des US-Pastors Judah Smith bemerkbar, während es davor, danach und dazwischen sehr gerne auch wieder an-, also auszüglich zugeht. In „A&W“ etwa heißt es „It’s not about havin’ someone to love me anymore / This is the experience of bein’ an American whore“, bevor ungefähr zur Hälfte ein Trap-Beat einfällt, der den Song als Echo seiner selbst auf eine andere Ebene hebt.

Die Trap-Beats kommen dann am Ende noch einmal zurück, wobei sich die drei letzten Stücke des Albums eher als Wurmfortsatz erweisen – sofern man das nach insgesamt 77-minütigem Dahindämmern überhaupt noch registriert.

(Wiener Zeitung, 25./26.3.2023) 

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