Samstag, April 22, 2023

„In erster Linie macht es Freude“

Das Wiener Indie-Label Noise Appeal Records feiert seinen 20. Geburtstag an drei Tagen im Chelsea.

Für September zeichnet sich Großes ab. Dann wird sich die österreichische Sängerin und Songwriterin Marilies Jagsch unter dem Alias MAIIJA neu erfinden. Mit der streicherumrahmten Kapitalismuskritik von „I Am Consumed“ sorgte ihre erste Single erst dieser Tage für Gänsehaut.

Das dazugehörige Debütalbum „I Am“ wird bei Noise Appeal Records erscheinen. Das in Wien ansässige Label wurde vor 20 Jahren gegründet – und feiert seinen runden Geburtstag ab kommenden Dienstag (25. April) an drei Tagen im Wiener Chelsea.

Musikarbeit im Indie-Bereich ist Arbeit aus Überzeugung und Leidenschaft. Doch wie viel Leiden ist damit verbunden? Label-Gründer Dominik Uhl zur „Wiener Zeitung“: „Kaum Leiden, wirklich. Auch wenn es Zeitpunkte gab, an denen ich hinwerfen wollte und sich die Frage gestellt hat: Warum zur Hölle mache ich das? Aber immer, wenn so ein Moment kam, ist etwas passiert, das wieder Schwung in die Sache gebracht hat.“

Raum in der Nische

Uhl nennt erste Gespräche mit Didi Bruckmayr, der auf Noise Appeal mit seinen Projekten Fuckhead und Wipeout vertreten ist, und eine Singles-Box von Hans Platzgumers Band H.P. Zinker als Beispiele. Platzgumer, der auch die Alben seiner Band Convertible bei Noise Appeal veröffentlicht, sei überhaupt ein Antrieb gewesen. „Da headbange ich 1996 im Grazer Teatro zu H.P. Zinker, und dann trinke ich viele Jahre später Bier mit dem Mann!“

Uhl führte das Label ursprünglich mit seiner Lebensgefährtin, danach allein und kurz mit dem heutigen Schmauswaberl-Betreiber Peter Balon. Seit 2015 ist Michael Marlovics an Bord, der seit drei Jahren Uhls gleichwertiger Geschäftspartner in einer für das Label gegründeten Gesellschaft ist, zu der mittlerweile auch ein Verlag und eine Kreativagentur gehören. „Seit damals geht es erster Linie ,bergauf‘ und die finanzielle Belastung geht nicht mehr auf die privaten Reserven. Daher ist es auch ein anderes, befreiteres Arbeiten. In erster Linie macht es also Freude.“

Den großen Markt hat man in Österreich natürlich nicht, dafür Raum in der Nische. Was war der größte kommerzielle Erfolg von Noise Appeal bisher? Uhl: „,Fallow Fields Of Hope‘ von Once Tasted Life. Das ist wohl die VÖ mit den am meisten verkauften physischen Tonträgern. Das müssen so an die 1.300 gewesen sein. Danach folgen Heckspoiler und Die Buben Im Pelz. Letztere waren mit ihrem letzten Album ,Geisterbahn‘ auch kurz davor, in die Album-Charts zu rutschen. Das wäre ein Spaß gewesen!“

Was war der Antrieb im Jahr 2003, es überhaupt zu versuchen? Uhl: „Die Sozialisierung. Meine damalige Lebensgefährtin und ich haben ja so eine klassische Hardcore-Punk-DIY-Schule durchlaufen. Ich habe seit Mitte der 1990er Jahre Konzerte veranstaltet, Fanzines und Musik gemacht. Der Antrieb war aber nicht, die eigenen Sachen zu veröffentlichen, sondern befreundete Bands aus dem Hardcore-/Punk-Umfeld. Mit der Zeit ist dann der musikalische Horizont immer größer geworden.“

Vier Buchstaben: Rock

Das Line-up des Geburtstagsfests spiegelt diesen Umstand mit so unterschiedlichen Acts aus dem eigenen Label-Roster wie Convertible, MAIIJA, Dun Field Three, Lausch, Baits, Scarabeusdream u. v. m. Was ist der kleinste gemeinsame Nenner? „Wir verwenden oft den Begriff ,Rock‘. Nicht weil jetzt alle Acts Rock im klassischen Sinn machen, aber irgendwie ist das für alle der Ausgangspunkt. Inklusive der diversen Subgenres sind diese vier Buchstaben der Kern der Sache.“

Worauf muss man als Labelbetreiber im Jahr 2023 besonders achten? „Es ist wichtig, offen für Neues zu sein. Und man muss den Tonträger heute als das behandeln, was er ist, nämlich ein Luxusartikel. Er ist keine Massenware mehr – zurzeit. Das heißt, Ton- und Pressqualität müssen passen, die Artworks schön sein, die Druckumsetzung muss stimmen. Schallplatten kosten den Konsumentinnen und Konsumenten viel Geld. Da muss man auch etwas bieten.“

Jetzt wird aber erst einmal gefeiert. Welche Beziehung hat das Label zum Veranstaltungsort seiner Dreitagesparty, dem Wiener Chelsea am Lerchenfelder Gürtel? „Das Chelsea hat uns immer unterstützt, wie übrigens auch das Rhiz zu Herbie-Molin-Zeiten. Als es die Sitzplatzkonzerte während der Pandemie gab, wurden wir vom Chelsea angerufen und gefragt, ob wir nicht diesen und jenen Act von uns bei ihnen spielen lassen können. Diese Art Support ist nicht selbstverständlich – und hat die Verbindung noch intensiviert.

(Wiener Zeitung, 22./23.4.2023)

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