Lady Gaga versah in Wien ihren Dienst an der Erotik- und Entertainmentbranche. In der ausverkauften Stadthalle wurde die Show nur von Musik unterbrochen.
Ob man es am Donnerstag, den 11. November, nun mit dem Faschingsbeginn zu tun hatte oder doch noch mit den Überresten einer Halloween-Afterhour – wer kann es sagen?
In der Wiener Stadthalle versah nämlich Lady Gaga, der im Moment größte Pop-Superstar von der Welt, ihren Bühnendienst. Und wie man die vor allem in der Modewelt als Stilikone gefeierte Sängerin für mindestens mutigen Stoffeinsatz vom gemeinen Nylon bis hin zum Schlachtvieh kennt, ging es auch hier bald nur mehr um eines: Was hat sie an? Was kommt als Nächstes?
Grundsätzlich fand man sich dabei zwischen alltäglichen Kostümierungsneurosen mit Lady Gaga als wandelndem Ganzkörperzottelfell, singender Porno-Nonne, Fetisch-Hinkebeinchen und flotter Pailletten-Queen wieder. Wir sahen die Lady später aber auch bei einem Spaziergang durch verwunschene Märchenwälder als blutspeiende Schwänin und ihr Stricher-Ensemble, wie es sich als Heer der Untoten im Latexdress konservierte. Gaga schwang die Peitsche, ritt auf den Tänzern, gebärdete sich wie Marilyn Manson auf der Jahreshauptversammlung der Zombi-Innung und tanzte mit einer Leder-Transe am Eingang zur Hölle. Diese lauerte an einem unwirtlichen Straßeneck in New York City und machte sich mit neonstrahlenden Hinweisen auf "Drugs" und "Liquor" bemerkbar. Apropos Hölle: Lady Gaga in einer kurzen, aber wichtigen Hausmitteilung an uns alle: "I’ve got a pretty tremendous dick. Get out your dicks!" Was will man machen?
Ein Abend, der also gleichermaßen Fasching und Halloween, Kindergeburtstag und Vatis Herrenabend mit Peepshow zur Belohnung nach der sehr langen und äußerst grausamen Kiddy-Contest-Phase zu sein schien, entschädigte uns lechzende Voyeure vor allem im optischen Bereich. Die Musik war egal und diente nur zur Unterbrechung einer als Verheißungsangebot konzipierten Show, die sich beim Musical anlehnte und mit Ambitionen zur szenischen Gestaltung darum drehte, dass Gaga und ihre zehn besten Girl- und Boyfriends auf dem Weg zum "Monster Ball" noch ein paar Umwege nahmen.
Mit einer anfangs hinter der Bühne versteckten Band samt standesgemäß nicht hörbarer Modern-Talking-Gitarre verschwendete Lady Gaga sich selbst und ihre Jugend im Dienste der Unterhaltungs- und Erotikindustrie als singendste Sexarbeiterin auf Mutter Erde. Sie brach sich beim Spiel am Klavier einen Nagel für uns und erklärte daraufhin die Maniküre zum Frauenrecht. Sie brüllte uns flammende Botschaften entgegen und hielt Brandreden für die Outsider und Freaks, für die Geächteten der Pausenhalle und trat dafür ein, dass wir kleine Mädchen uns nicht weiter vom fiesen Pauli aus der 3a sollten sekkieren lassen. Gaga outete sich als einst in der High School "not cool" und bezeichnete uns alle als Superstars. Und weil es generell egal wäre, wer man sei, woher man komme oder wie viel Geld man besäße, um an ihrem "Monster Ball" teilzunehmen, sang Gaga bei Ticketpreisen von 63 bis 103 Euro im regulären Vorverkauf bei "The Fame" anschließend über Ruhm, Sex, Geld und weitere Vorteile eines Lebens auf der Butterseite.
Von diesem kann die 1986 in New York geborene Sängerin derzeit aufgrund eines erhöhten Arbeitspensums nur wenig zehren. Mit nur einem regulär veröffentlichten Studioalbum, das um acht Stücke erweitert im Vorjahr als "The Fame Monster" neu aufgelegt wurde, tourt die vor allem als dauerpräsentes Testimonial ihrer selbst bekannte Sängerin ohne Pause durch die Stadthallen der Welt. Mit einem Gesamtwerk als Gesamtkunstwerk also, das die Musik eher als Randerscheinung durchgehen lässt, will Lady Gaga das letzte allumfassende Spektakel der vom Niedergang gezeichneten Musikindustrie und einer zunehmend lustfeindlichen Gesellschaft sein. Bei Lady Gaga gibt es keine Krise. So müssen sich auch ihre Konzerte als im Zeichen von Glitzer und Glamour stehende Realitätsfluchten erweisen.
Musikalisch blieb das mit am Reißbrett entworfenen Hits von "Let’s Dance" bis "Bad Romance" auch live bei böllernder Begleitmusik für Autodromfahrten im Prater: Dick aufgetragene R&B-Beats gesellten sich zu nicht minder schüchternen Synthie-Bässen. Mit der Stadionrock-Ballade "You And I" vom 2011 erscheinenden Album "Born This Way" präsentierte Gaga, auf dem Klavier stehend, zudem auch einen neuen Song.
Nach knapp zwei Stunden und unzähligen Kleiderproben gab es jedenfalls gar kein Konfetti. Bei Lady Gaga ist ohnehin immer Fasching.
(Wiener Zeitung, 13./14.11.2010)
Freitag, November 12, 2010
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