Interpol im Wiener Gasometer
Warum genau die New Yorker Band Interpol den Weltschmerz zum Dogma ihrer Kunst erhob – es ist nicht überliefert. Kennt man die Musiker als feinbetuchte Jungherren mit beigestelltem Topmodel-Girlfriend oder als im ganzen Big Apple berüchtigte Partytiger, so erübrigt sich die biografische Ursachenforschung aber recht schnell.
Der Küchenpsychologe in uns würde irren: Interpol sind keine Stammgäste beim Therapeuten. Wie man auf Pressefotos zu sehen bekam, geht die Band zum Lachen auch nicht in den Keller. Von wegen: "Can’t you see what you’ve done to my heart and soul? This is a wasteland now.. ."
Die nach dem Abgang ihres primär optisch geschätzten Bassisten Carlos Dengler, der den mangelnden Frontman-Charakter Paul Banks’ zu kompensieren hatte, zuletzt zum Trio geschrumpfte Formation mag also in ihrer beruflichen Privilegiertheit zu viel Zeit zum Nachdenken haben. Vor allem aber bedient sie sich ästhetisch beim Post Punk, jenem Genre also, das Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre mit Bands wie Joy Division und Gang of Four zur Hochform auflief und grundsätzlich vom schweren Gemüt dominiert wurde.
Alte Perfektionisten
Im Fahrwasser des Post-Punk-Revivals, das im Jahr 2003 von den ungleich beschwingteren Franz Ferdinand eröffnet wurde, drängten auch Bands wie die Editors und Interpol in die Charts. Franz Ferdinand eroberten später die Disco. Die Editors wollten nicht mehr Gitarre spielen. Interpol blieben Interpol und meißelten ihren Sound mit Alben wie "Antics" und "Our Love To Admire" in Stein: markante Bassläufe, emphatische Gitarren, knackige Drums. Auf dem aktuellen, selbstbetitelten Werk gefällt sich die für ihren Perfektionismus bekannte Band beim Ausloten von Atmosphären sowie bei dramaturgischen Studien. Dabei wurde aber ganz auf die Hits vergessen. Wer versucht, sich drei, vier aktuelle Nummern ins Gedächtnis zu rufen, tut sich womöglich recht schwer.
Liturgische Nebelgaben
Live erwiesen sich Interpol, unterstützt von David Pajo am Bass und Brandon Curtis (School Of Seven Bells!) an den Tasten, im Wiener Gasometer vor allem als stur. Vom im Studio geborenen Konzept wichen sie nie ab. Man kann das positiv sehen oder negativ: Im Konzert klingt diese Band exakt wie auf Platte. Vor als Bühnendekor aufgezäumten Orgelpfeifen baten Interpol damit zur Messe. Sie pumpten sich im feierlichen Sonntagsanzug und inmitten liturgischer Nebelgaben mit reichlich Bass durch Hadern wie "Evil", "Slow Hands", "The Heinrich Maneuver" oder den stampfenden Göttersong "Rest My Chemistry". Sie wurden mit "Say Hello To The Angels" ruppig, drosselten das Tempo für ihr von Ennio Morricone inspiriertes "The Lighthouse" und legten "Narc" in seiner schwebenden Grandezza frei. Von den neuen Liedern überzeugten das druckvolle "Barricade" und "Memory Serves" als hatscherte Ballade.
Das reichte, trotz mangelnden Nachdrucks, für einen sehr guten Abend. Die Welt mag schlecht sein, grau und gefährlich. Mit Interpol ist sie aber doch auch ziemlich in Ordnung.
(Wiener Zeitung, 20./21.11.2010)
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