Donnerstag, Oktober 13, 2011

Glamour mal Falsett

Der Wiener Laptop-Performer Patrick Weber und sein Projekt Crazy Bitch In A Cave

Die Kunst, Widerstände zu überwinden, ist hier eventuell nicht nur für den ungeschulten Hörer vonnöten. Immerhin machen Falsettgesänge, wie man sie seit den Zeiten eines Jimmy Sommerville nicht mehr gehört hat, und Billigkeyboards, die kräftig plingen und plongen, zwar den Anfang – sie bestimmen das Album dann aber auch zu weiten Teilen. Hat man sich erst an den Sound gewöhnt, den Patrick Weber alias Crazy Bitch in A Cave als Musikant mit dem Taschenrechner in der Hand im Heimstudio großzieht, wird man allerdings reichlich belohnt. Hinter dem Paravent hält sich ein erstaunlicher Songwriter versteckt.

Seine Kreise durch die sogenannte Szene dreht Weber schon seit einigen Jahren. In einschlägigen Clubs wie dem Fluc am Wiener Praterstern oder dem Rhiz am Lerchenfelder Gürtel ist er als regelmäßiger Live-Gast anzutreffen, der vor allem für eines geschätzt wird: Crazy Bitch In A Cave liebt den Glamour – eine Disziplin, die es im heimischen Pop historisch betrachtet nie leicht hatte. Schließlich baut sie auf große Gesten, die in einem kleinen Land nur dann ignoriert werden können, wenn sie die Spinner von London, New York und Berlin möglichst in Tokio kultivieren. Weber sieht diesbezüglich einiges anders. Es schillert und glitzert, wenn er die Bühne betritt, um in seine Kunstwelt zu entführen. Man muss sich den Mann mit dem ins Bodenlose fallenden Haar als einen moderenen Alleinunterhalter vorstellen, dem es nicht nur um die Musik geht. Mit Laptop, gelegentlicher Unterstützung in Sachen Background-Gesang und vor reichlich optischem Zierrat, legt der privat als introvertiert umschriebene Kunststudent seine Rolle als Verkleidungskünstler kaum schüchtern an. „Standing in line my dear / what you want I got it here“ – dabei hat man es aber nicht mit der namensgebenden „bitch“, sondern mit einer Diva zu tun, die stolz durch die Nacht schreitet.
  
In dunklen Stunden gelten bekanntlich eigene Regeln. Die Vorgaben des Alltags weichen dem Wunsch nach Zerstreuung und Spaß. Realitätsflucht hin zu den Verheißungsangeboten, die im Club an oder hinter der Bar lauern und von Weber musikalisch entsprechend übersetzt werden. Der Musiker selbst legt sein Tages-Ich ab und mutiert zum queeren Performer, der, nicht Mann, nicht Frau, auch im Transgender-Tutorium deiner Fakultät als Objekt der Begierde gilt.  

Nachdem man sich von Weber als Gesamtkunstwerk bisher vornehmlich live überzeugen konnte, liegt mit „Particles“ nun das lang erwartete Debütalbum von Crazy Bitch In A Cave vor. Veröffentlicht auf dem Wiener Kleinlabel Comfortzone (Cherry Sunkist u.a.), hat man es dabei mit einem österreichischen Album des Jahres zu tun. Die zwölf ebenso zuhause wie selbst produzierten und im Studio von Patrick Pulsinger lediglich abgemischten Songs untermauern Webers Erfolgsformel – Glamour mal Falsett! –, und gedeihen überwiegend auf einem Nährboden aus Elektropop und R ’n’ B. Darüber hinaus geht es mit House-Beats in die Disco und mit Prince in die Federn.

Pop in strahlenden Neonlettern

Die eingangs erwähnten Trash-Sounds finden ihren Höhepunkt zwar in einem Autotune-Ausflug, den man erst einmal verdauen muss – zwischendurch geht es dann oft aber auch betont stilsicher zu. Aus dieser Ecke kommt etwa das Titelstück als klug arrangierte Laptop-Symphonie oder „Far From Sleep“, das an Philip Glass denken lässt und vergleichsweise klassisch klingt. Klarinetten und Saxofon arbeiten wohltuend zu, wenn Weber mit „Feel Me Now“ etwa auch in Richtung Vaudeville und Cabaret aufbricht.

Eines freilich verbindet sämtliche Songs: ihr Bekenntnis zum Pop, der in Form dreier Neonlettern die Nacht hindurch strahlt. Man höre etwa die Single-Auskopplung „On Top“ oder mit „I Quit“  einen möglichen Hit, den Prince in den 80er-Jahren gerade doch nicht geschrieben hat. 

Crazy Bitch In A Cave: Particles (Comfortzone / Trost)

(Wiener Zeitung, 14.10.2011)

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