Freitag, November 04, 2011

„In dieser dunklen Nacht“


„Crazy Clown Time“: US-Regisseur David Lynch und seine Blues-affine Geistermusik

Ein staubtrockener Beat schleppt sich behäbig durch die Gegend. Rückwärts gesampelte Gitarren arbeiten eindringlich zu. Ein Mann säuselt mit windschiefer Stimme, die an eine Radikalversion eines Falsett singenden Neil Young denken lässt. Dazu stöhnt eine Frau im Hintergrund lustvoll. Das Schlagzeug wird härter, die Gitarren haben den Blues, das Stöhnen klingt langsam gequält. Susie zieht ihr T-Shirt aus. Danny überschüttet Susie mit Bier. Im Hinterhof setzt Petey sein Haupthaar in Brand. Timmy springt wild durch die Gegend. Paulie stellt sich zwei Drinks in die Kehle. Die Stimmung ist bedrohlich - und alle haben reichlich Spaß: Man muss sich den Titelsong aus "Crazy Clown Time", dem nun erschienenen Solodebüt des US-Regisseurs David Lynch in seiner Funktion als sprechender Neben-der-Spur-Sänger, als Erweiterung seines visuellen Gesamtwerks vorstellen. Als Soundtrack ohne Film, der das Kino im Kopf flimmern lässt.

Späte Musiker-Karriere

Zwar war eine Karriere des heute 65-Jährigen als aktiver Musiker in dieser Form lange nicht abzusehen. Als zusätzliche Ausdrucksmöglichkeit und Verstärker von Stimmungen und Emotionen spielte die Tonebene bei Lynch aber schon immer eine entscheidende Rolle. Schließlich waren bereits in "Blue Velvet" (1986) gleich zwei Songs die (un)heimlichen Stars: Neben dem gleichnamigen Titelsong in der Version von Bobby Vinton, der selbst Dennis Hopper in der Rolle des Psychopathen Frank Booth in die Knie gehen ließ, holte Lynch mit "In Dreams" auch den frühen Rock-’n’-Roll-Tragöden Roy Orbison ("Pretty Woman") zurück aus der Versenkung. In der weiteren Vertonung dieser die jugendliche Unschuld mit einer Welt aus moralischer Verderbnis, hartem Sex und plumper Gewalt konfrontierenden Geschichte markierte "Blue Velvet" auch den Beginn einer intensiven Zusammenarbeit des Regisseurs mit seinem baldigen Haus- und Hofkomponisten Angelo Badalamenti, der etwa auch die TV-Serie "Twin Peaks" musikalisch zu einem Hit werden ließ. Eine Zusammenarbeit, in die sich Lynch später auch mit eigenen Ideen und vereinzelten Songtexten einbringen sollte.

Schlanke Arrangements

Während Lynch in den Jahren darauf mit einer Radikalisierung seines Kinos hin zur Auflösung der Narrationsebene ausreichend zu tun hatte, tritt er als Musiker nun nicht von ungefähr in den Vordergrund. Schließlich datiert sein letzter Film („Inland Empire“) auch schon wieder auf das Jahr 2006 zurück, und zwingende Ideen für ein Nachfolge-Projekt sind aktuellen Interviews zufolge auch nicht in Sicht – abgesehen von einer angeblich bereits seit Jahren in Entstehung befindlichen Dokumentation über den indischen Guru Maharishi Mahesh Yogi und die Kunst der „Transzendentalen Meditation“, für die sich Lynch seit langem begeistert. Ein Umstand, den David Sievekings sehenswerter Film „David Wants To Fly“ wiederum erst im Vorjahr kritisch betrachtete. 

Nach einem ersten und kaum öffentlich wahrgenommenen Album mit John Neff im Jahr 2001 ("BlueBob") durfte man Lynch im Rahmen des Projektes "Dark Night Of The Soul" von DJ Danger Mouse und dem 2010 verstorbenen Songwriter Mark Linkous alias Sparklehorse erstmals als "Sänger" erleben. Nach Video-Drehs für Moby, Interpol oder Duran Duran trat der Regisseur zudem erst im September als Produzent seiner femme fatalistischen Muse Chrysta Bell in Erscheinung. Mit "Crazy Clown Time" bricht er nun selbst zu neuen Ufern auf.

Mithilfe seines Produzenten Dean Hurley im Heimstudio des Regisseurs am Mulholland Drive in Los Angeles eingespielt, will Lynch die Ergebnisse als modernen Blues verstanden wissen. Der grundiert bevorzugt im unteren Tempobereich auf schnalzendem Schlagzeug, das mit trockenen Twang-Gitarren zu einem letzten Whiskey in Richtung Bar aufbricht. Auf dem Weg dorthin lauert der Abgrund. Lynch, dessen Unstimme bevorzugt mit Effekten belegt oder gleich durch den Vocoder geschickt wird, führt durch atmosphärische Traum- und Albtraumwelten. Karen O von den Yeah Yeah Yeahs faucht zum polternden "Pinky’s Dream", für die Eifersuchtsstudie "Football Game" mimt Lynch einen, dem scheinbar das Gebiss zertrümmert wurde.

Repetitive Grundstrukturen treffen auf schlank gehaltene Arrangements. Klassische, bei "I Know" durchaus auch an Tom Waits erinnernde Blues-Rock-Archaik gesellt sich zu modernistischen Momenten, die bei "Noah’s Ark" mit einem elektronischen Downtempo-Beat und gut abgefederten Basstupfern für einen Album-Höhepunkt sorgen.

Das ist gut und böse - abgesehen von Ausrutschern in Richtung Ibiza-Beats ("Good Day Today") oder Weltraumreisen mit dem Major Tom ("Stone’s Gone Up"), denen das Stalking-Manifest "Speed Roadster" als Antipol und Essenz dieses Albums eines entgegenhält: "I got fucked by you / Fucked real bad / Maybe you’re happy . .. / But I hope you’re sad."

David Lynch: Crazy Clown Time (Vertrieb: PIAS)
  
(Wiener Zeitung, 5./6.11.2011)

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