Dienstag, Dezember 06, 2011

Urbane Klänge, kalter Soul

Jamie Woon verbindet die Nachwehen des Dubstep-Genres mit Soul und R’n’B: Am Freitag gastiert der 28-Jährige im Wiener Stadtsaal.

Neben seinem um gut fünf Jahre jüngeren britischen Landsmann James Blake gilt Jamie Woon als Held des Jahres 2011, wenn es um die Erweiterung des Dubstep-Genres um fundiertes Songwriting und somit den Ausbruch aus mehr oder minder klar gezogenen Genregrenzen geht. Nach diesbezüglicher Mikroforschung emsiger Soundbastler für die DJs im Club kommt die alte Tante Pop dann gerne daher, um die „neuen“ Einflüsse aufzusaugen und einzugemeinden.

Angekündigter Durchbruch

Jamie Woon, 1983 als Sohn der schottischen Folk-Bardin Mae McKenna und eines malaysischen Vaters geboren, ließ sich zunächst an der auch von Amy Winehouse oder Adele besuchten BRIT School im Süd-Londoner Stadtteil Croydon in Sachen „Performing Arts & Technology“ theoretisch und praktisch schulen. Zeitgleich stieß der Mann, der schon immer eine Vorliebe für Soul und R’n’B kultivierte, auf die atmosphärischen, hall-, echo- und bassaffinen Klangstudien des Dubstep und seines stilprägenden Großmeisters Burial. Dieser fertigte später nicht nur einen Remix von Jamie Woons 2007 veröffentlichter Neudeutung des US-Folksongs „Wayfaring Stranger“ an, er beteiligte sich auch an der Produktion seines Debütalbums „Mirrorwriting“, das heuer im April auf Universal veröffentlicht wurde und Woon bereits im Vorfeld einige Aufmerksamkeit eingebracht hatte. Immerhin wurde der Musiker auf die jährlich für Gegacker im Hühnerstall sorgende „BBC Sound of …“-Liste gesetzt, die die musikalischen Durchstarter der nächsten Saison meist mit gewisser Treffsicherheit vorwegnimmt.

Die zwei Seelen, ach!, in seiner Brust – seine Vorliebe für Soul und R’n’B klassischer Ausprägung sowie in der käsigen Popversion der 90er- und Nullerjahre, und, abgesehen von Dubstep, auch andere clubtaugliche Spielarten wie vor allem House – sorgten auf den zwölf Stücken des Debütalbums für einen gelungenen stilistischen Brückenschlag. Anders als bei James Blake zumindest weitgehend „rein“, also ohne Nachbearbeitung eingesungen oder stimmlich bevorzugt nur von Halleffekten, nicht aber von Auto-Tune-Klängen bestimmt, vertraute Woon auf die stimmungsgenerierenden, benebelten Sounds, ohne aber auf markante, dem Songformat geschuldete Hooklines zu verzichten. In den besten Momenten, wie etwa gleich beim eröffnenden „Night Air“, entstand dabei betont am Puls der Zeit fließende Musik für großstädtische Gemüter: Soul, der von Sounds aus digitaler Schmiede erheblich abgekühlt wurde.

Melancholie im Club

Bevorzugt auf melancholische Momente im Club gestimmte und dabei auch wohnzimmertauglich ausgefallene Songs wie das um Stoßseufzer erweiterte „Street“ oder das den „Funky Drummer“ mit Synthie-Bässen gut abfedernde und von Gospelgesängen im Hintergrund getragene „Spirits“ begeisterten restlos, während Woon auf der zweiten Hälfte des Albums mit leicht orientierungslosen und plötzlich auch organisch zwischen betulicher Akustikgitarre und angejazztem Kontrabass instrumentiertem Material dann aber die Luft ausging.

Dass man sich dennoch noch einiges von ihm erwarten darf (wenngleich auch keine großen Qualitäten als „Popstar“), wird Woon am Freitag im Wiener Stadtsaal unter Beweis stellen: Für sein dort nachgeholtes Konzert vom krankheitsbedingt abgesagten Festival Waves Vienna darf mit adaptierten Live-Versionen und einem Mehr an Funk gerechnet werden, das der Mann mit Laptop und zumindest einem Mitmusiker auf die Bühne bringt.

(Wiener Zeitung, 7.12.2011)

Keine Kommentare: