Neben seinem um
gut fünf Jahre jüngeren britischen Landsmann James Blake gilt Jamie Woon als
Held des Jahres 2011, wenn es um die Erweiterung des Dubstep-Genres um fundiertes
Songwriting und somit den Ausbruch aus mehr oder minder klar gezogenen
Genregrenzen geht. Nach diesbezüglicher Mikroforschung emsiger Soundbastler für
die DJs im Club kommt die alte Tante Pop dann gerne daher, um die „neuen“ Einflüsse
aufzusaugen und einzugemeinden.
Angekündigter
Durchbruch
Jamie
Woon, 1983 als Sohn der schottischen Folk-Bardin Mae McKenna und eines
malaysischen Vaters geboren, ließ sich zunächst an der auch von Amy Winehouse
oder Adele besuchten BRIT School im Süd-Londoner Stadtteil Croydon in Sachen
„Performing Arts & Technology“ theoretisch und praktisch schulen. Zeitgleich
stieß der Mann, der schon immer eine Vorliebe für Soul und R’n’B kultivierte, auf die atmosphärischen,
hall-, echo- und bassaffinen Klangstudien des Dubstep und seines stilprägenden Großmeisters
Burial. Dieser fertigte später nicht nur einen Remix von Jamie Woons 2007
veröffentlichter Neudeutung des US-Folksongs „Wayfaring Stranger“ an, er
beteiligte sich auch an der Produktion seines Debütalbums „Mirrorwriting“, das
heuer im April auf Universal veröffentlicht wurde und Woon bereits im Vorfeld
einige Aufmerksamkeit eingebracht hatte. Immerhin wurde der Musiker auf die
jährlich für Gegacker im Hühnerstall sorgende „BBC Sound of …“-Liste gesetzt,
die die musikalischen Durchstarter der nächsten Saison meist mit gewisser
Treffsicherheit vorwegnimmt.
Die
zwei Seelen, ach!, in seiner Brust – seine Vorliebe für Soul und R’n’B klassischer Ausprägung sowie in der
käsigen Popversion der 90er- und Nullerjahre, und, abgesehen von Dubstep, auch
andere clubtaugliche Spielarten wie vor allem House – sorgten auf den zwölf
Stücken des Debütalbums für einen gelungenen stilistischen Brückenschlag.
Anders als bei James Blake zumindest weitgehend „rein“, also ohne
Nachbearbeitung eingesungen oder stimmlich bevorzugt nur von Halleffekten,
nicht aber von Auto-Tune-Klängen bestimmt, vertraute Woon auf die
stimmungsgenerierenden, benebelten Sounds, ohne aber auf markante, dem
Songformat geschuldete Hooklines zu verzichten. In den besten Momenten, wie
etwa gleich beim eröffnenden „Night Air“, entstand dabei betont am Puls der
Zeit fließende Musik für großstädtische Gemüter: Soul, der von Sounds aus
digitaler Schmiede erheblich abgekühlt wurde.
Melancholie im Club
Melancholie im Club
Bevorzugt
auf melancholische Momente im Club gestimmte und dabei auch wohnzimmertauglich
ausgefallene Songs wie das um Stoßseufzer erweiterte „Street“ oder das den „Funky
Drummer“ mit Synthie-Bässen gut abfedernde und von Gospelgesängen im
Hintergrund getragene „Spirits“ begeisterten restlos, während Woon auf der
zweiten Hälfte des Albums mit leicht orientierungslosen und plötzlich auch
organisch zwischen betulicher Akustikgitarre und angejazztem Kontrabass
instrumentiertem Material dann aber die Luft ausging.
Dass man sich dennoch
noch einiges von ihm erwarten darf (wenngleich auch keine großen Qualitäten
als „Popstar“), wird Woon am Freitag im Wiener Stadtsaal
unter Beweis stellen: Für sein dort nachgeholtes Konzert vom krankheitsbedingt
abgesagten Festival Waves Vienna darf mit adaptierten Live-Versionen und einem
Mehr an Funk gerechnet werden, das der Mann mit Laptop und zumindest einem
Mitmusiker auf die Bühne bringt.
(Wiener Zeitung, 7.12.2011)

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen