Kurt Wagner und
seine Band Lambchop begeisterten im Wiener Konzerthaus: Im Vordergrund
des Konzerts stand das neue Album „Mr. M“
Angenommen, man
wäre Bill Murray als US-Schauspieler Bob Harris im Film "Lost In Translation", säße verloren in einem japanischen
Luxushotel, hätte Telefonstress mit der Frau, einen Jetlag und zu viel Zeit, um
die innere Leere weiterhin ignorieren zu können – und angenommen, man ginge
dann auf einen Drink in die Hotelbar und hätte es dort nicht mit einer
liebesbedürftigen rothaarigen Chanteuse, sondern mit Lambchop als Hotelband zu
tun: Was würde geschehen?
Wir
müssten uns Bill Murray als plötzlich glücklichen Menschen vorstellen. Wie
Lambchop auch am Montag im Wiener Konzerthaus unter Beweis stellen sollten, hat
diese wunderbarste aller „jüngeren“ Nashville-Bands ihre Kunst der unbedingten
Barhockermusik nicht nur auf eine Weise perfektioniert, die in ihrer
Zurückgenommenheit virtuos ist. Sie ermöglicht vor allem, es bezüglich der
solchermaßen besungenen „Blue wave“ als Grundverfassung nicht ganz so ernst nehmen
zu müssen. Die oft als traurig verstandenen Lambchop, sie sind so traurig
nicht. Ihre Musik ist ein Seelentröster, und sie unterhält live auch dann, wenn
Tony Crow am Klavier als rechtem Schmähbruder gerade kein Blowjobwitz mehr einfallen
mag.
Anders-Country
Lambchop,
einst als loses Kollektiv um den ehemaligen Fliesenleger Kurt Wagner gegründet,
finden ihr Seelenheil in einem auf Zeitlupentempo gedrosselten Anders-Country,
der bei starken Jazz- und Souleinflüssen auch dann noch beiläufig klingt, wenn
er am tiefgründigsten ist – nachzuhören auf mittlerweile elf Alben, die binnen
achtzehn Jahren erschienen sind. Dass mit „Mr. M“ das aktuellste davon auf eine
Krise zurückgeht, würde nicht weiter auffallen. Und doch bekundete Wagner, nach
dem Selbstmord des US-Songwriters Vic Chesnutt, der ihm als Bruder im Geiste
Arbeitskollege und vor allem Freund war, in ein Loch gefallen zu sein. Nach
einer Phase, in der er sich nur über die Malerei ausdrücken konnte, zeugt das
derzeit mit der siebenköpfigen Lambchop-Kernformation betourte Album von der
typischen Qualität dieser Band, Musik als Ventil zu benützen. Das klingt auch
gerne berührend, bekundet mit dem vorwärtsgerichteten Blick aber nicht nur im
Zweifel, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Mit „Never My Love“ stimmte Wagner
am Ende des Hauptsets immerhin auch seinen ersten tatsächlichen Love-Song an.
Befreiungsprediger
Befreiungsprediger
Der
Rest seiner mit erzählerisch grummelndem Bariton und heute bevorzugt auch mit
zittriger Stimme vorgetragenen Texte ist freilich weniger explizit. Wagner
assoziiert lieber, als er sich einem geradlinigen Storytelling verpflichten
würde. So wurde das aus dem Stand heraus soggleich tief ins Universum dieser
Band führende „If Not I’ll Just Die“ zu einer freien Schilderung des
Songwritingprozesses als solchem, wobei Wagner den gediegenen
Beserljazz-Charakter des Songs textlich rasch aufbrach – was klassisch klingt,
muss nicht auch klassisch sein: „Don’t know what the fuck they talk about!“
Ohne
die am Album so zentralen Streicher, dafür aber mit den zweifelhaften
ätherischen Backgroundgesängen der als Supportact allerdings wunderbaren
Cortney Tidwell, präsentierten Lambchop vorsichtig adaptierte Live-Versionen,
was vor allem mit dem hatscherten Liebesbekenntnis „2B2“ und dem
Bewältigungsblues von „Mr. Met“, bei dem Wagners Krisenphase hörbar nachklang,
für große Momente sorgte: „Friends make you sensitive / Loss made us idiots /
Fear makes us critical / Knowledge is difficult.“
Gegen
Ende hin heulten die Steelgitarren, wie etwa bei „The Man Who Loved Beer“, das
David Byrne einst mit einer schönen Coverversion adelte, ehe Wagner, dem man an
diesem Abend wieder einmal ewig hätte zuhören können, mit dem beschwingten Gospel
von „Give It“ sein Publikum nach 90 gesetzten Minuten doch noch aus den Sesseln
riss – um als Befreiungsprediger auf Knien dem Dunkel der Nacht zu entsagen: Das
Konzerthaus strahlte!
(Wiener Zeitung, 29.2.2012)

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