Dienstag, Februar 28, 2012

Tröstung am Tresen

Kurt Wagner und seine Band Lambchop begeisterten im Wiener Konzerthaus: Im Vordergrund des Konzerts stand das neue Album „Mr. M“

Angenommen, man wäre Bill Murray als US-Schauspieler Bob Harris im Film "Lost In Translation", säße verloren in einem japanischen Luxushotel, hätte Telefonstress mit der Frau, einen Jetlag und zu viel Zeit, um die innere Leere weiterhin ignorieren zu können – und angenommen, man ginge dann auf einen Drink in die Hotelbar und hätte es dort nicht mit einer liebesbedürftigen rothaarigen Chanteuse, sondern mit Lambchop als Hotelband zu tun: Was würde geschehen?

Wir müssten uns Bill Murray als plötzlich glücklichen Menschen vorstellen. Wie Lambchop auch am Montag im Wiener Konzerthaus unter Beweis stellen sollten, hat diese wunderbarste aller „jüngeren“ Nashville-Bands ihre Kunst der unbedingten Barhockermusik nicht nur auf eine Weise perfektioniert, die in ihrer Zurückgenommenheit virtuos ist. Sie ermöglicht vor allem, es bezüglich der solchermaßen besungenen „Blue wave“ als Grundverfassung nicht ganz so ernst nehmen zu müssen. Die oft als traurig verstandenen Lambchop, sie sind so traurig nicht. Ihre Musik ist ein Seelentröster, und sie unterhält live auch dann, wenn Tony Crow am Klavier als rechtem Schmähbruder gerade kein Blowjobwitz mehr einfallen mag.

Anders-Country

Lambchop, einst als loses Kollektiv um den ehemaligen Fliesenleger Kurt Wagner gegründet, finden ihr Seelenheil in einem auf Zeitlupentempo gedrosselten Anders-Country, der bei starken Jazz- und Souleinflüssen auch dann noch beiläufig klingt, wenn er am tiefgründigsten ist – nachzuhören auf mittlerweile elf Alben, die binnen achtzehn Jahren erschienen sind. Dass mit „Mr. M“ das aktuellste davon auf eine Krise zurückgeht, würde nicht weiter auffallen. Und doch bekundete Wagner, nach dem Selbstmord des US-Songwriters Vic Chesnutt, der ihm als Bruder im Geiste Arbeitskollege und vor allem Freund war, in ein Loch gefallen zu sein. Nach einer Phase, in der er sich nur über die Malerei ausdrücken konnte, zeugt das derzeit mit der siebenköpfigen Lambchop-Kernformation betourte Album von der typischen Qualität dieser Band, Musik als Ventil zu benützen. Das klingt auch gerne berührend, bekundet mit dem vorwärtsgerichteten Blick aber nicht nur im Zweifel, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Mit „Never My Love“ stimmte Wagner am Ende des Hauptsets immerhin auch seinen ersten tatsächlichen Love-Song an.

Befreiungsprediger

Der Rest seiner mit erzählerisch grummelndem Bariton und heute bevorzugt auch mit zittriger Stimme vorgetragenen Texte ist freilich weniger explizit. Wagner assoziiert lieber, als er sich einem geradlinigen Storytelling verpflichten würde. So wurde das aus dem Stand heraus soggleich tief ins Universum dieser Band führende „If Not I’ll Just Die“ zu einer freien Schilderung des Songwritingprozesses als solchem, wobei Wagner den gediegenen Beserljazz-Charakter des Songs textlich rasch aufbrach – was klassisch klingt, muss nicht auch klassisch sein: „Don’t know what the fuck they talk about!“

Ohne die am Album so zentralen Streicher, dafür aber mit den zweifelhaften ätherischen Backgroundgesängen der als Supportact allerdings wunderbaren Cortney Tidwell, präsentierten Lambchop vorsichtig adaptierte Live-Versionen, was vor allem mit dem hatscherten Liebesbekenntnis „2B2“ und dem Bewältigungsblues von „Mr. Met“, bei dem Wagners Krisenphase hörbar nachklang, für große Momente sorgte: „Friends make you sensitive / Loss made us idiots / Fear makes us critical / Knowledge is difficult.“

Gegen Ende hin heulten die Steelgitarren, wie etwa bei „The Man Who Loved Beer“, das David Byrne einst mit einer schönen Coverversion adelte, ehe Wagner, dem man an diesem Abend wieder einmal ewig hätte zuhören können, mit dem beschwingten Gospel von „Give It“ sein Publikum nach 90 gesetzten Minuten doch noch aus den Sesseln riss – um als Befreiungsprediger auf Knien dem Dunkel der Nacht zu entsagen: Das Konzerthaus strahlte!

(Wiener Zeitung, 29.2.2012)

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