Freitag, März 23, 2012

Befreiungslieder eines Grubensängers

Mark Lanegan gastierte mit seinem Album „Blues Funeral“ in der Wiener Arena

Seine Stimme klingt nach tausend Jahren im Whiskeyfass ertränktem Herzeleid und jener über den Konsum filterloser Rauchwaren eingenommenen Dosis Teer, mit der die Asfinag den Autobahnabschnitt zwischen St. Pölten und Wien neu asphaltieren könnte: Inhaltlich führt Mark Lanegan mit diesem auf tiefstem Deep-Throat-Niveau zu uns sprechenden Organ bald hinunter auf Grabesebene. Schattseitige Lieder über finstere Existenzen bestimmen sein Werk – entsprechend programmatisch ging es am Donnerstag in der ausverkauften Arena mit dem „Gravedigger’s Song“ los, der Eröffnungsnummer von Lanegans aktuellem Album „Blues Funeral“.

Prototypisch für sein Spätwerk sägten die Gitarren dabei zu metallischem Schlagzeug, um einen geerdeten Ur-Blues ins Reich des Rock-’n’-Roll zu überführen, das Lanegan ab Mitte der 80er-Jahre mit den Grunge-Vorreitern Screaming Trees und später als Mitglied der Queens Of The Stone Age ergiebig durchstreifen sollte. Sein Solowerk hingegen war einst ruhiger gestartet, um überwiegend akustische Folksongs mit Gospeluntertönen zu versehen. Live erinnerte der 47-Jährige nur auszugsweise an diese Phase – etwa mit dem über satte Twang-Gitarren mit Ennio Morricone durch die Wüste trabenden „Pendulum“ vom 1994 veröffentlichten Album „Whiskey For The Holy Ghost“ oder dem „Resurrection Song“, einem innigen Errettungsmantra –, um neben den neuen Songs vor allem aus seiner „Bubblegum“-Ära zu kredenzen, in der der Strom vor acht Jahren wieder stärker zu fließen begann.

Der Vorwurf, Lanegan würde live einem Standbild gleichen, war dabei zwar nachvollziehbar – allerdings sorgt der Mann auch mit einer an Arbeitsverweigerung grenzenden „Bühnen-Performance“ noch für erhebliche Emphase. Mit seiner vierköpfigen Band, die sich erstaunlich genau an den Studioversionen der Songs orientierte, sollten Lanegans Befreiungslieder und seine Grubenstimme allein für einen glatten K.-o.-Sieg reichen.

Höhepunkte waren das krachende „Quiver Syndrome“ ebenso wie der aus den Niederungen der Drogenhölle geschöpfte „Methamphetamine Blues“, der dem Abgrund im Stadium der süßesten Ekstase entgegenblickte: „I don’t want to leave this heaven so soon!“ Das Lanegans Kernkompetenzen mit einem Bossa-Beat auffrischende „Wedding Dress“ gefiel wie der durchaus ungewohnte Elektropop von „Ode To Sad Disco“, zu dem Lanegan nach einer Tour im Vorprogramm von Depeche Mode fand, während „St. Louis Elegy“ erhaben in eine Schattenwelt aus Whiskey und Tränen entführte.

Mit der Textzeile „There is no morphine, I’m only sleeping!“ rechtfertigte sich der Sänger bei „One Hundred Days“ vorbeugend und augenzwinkernd, als sein lyrisches Ich die Rückkehr einer Geliebten delirierte. Der Traum als letzte Chance auf eine mögliche Utopie, einst schon von Roy Orbison mit dem Götterschlager „In Dreams“ besungen, er blieb ohne Happy End: „If tears were liquor Id have drunk myself sick.“ 

(Wiener Zeitung, 24./25.3.2012)

Keine Kommentare: