Mark Lanegan gastierte mit seinem Album „Blues Funeral“ in der Wiener
Arena
Seine Stimme klingt nach tausend Jahren im
Whiskeyfass ertränktem Herzeleid und jener über den Konsum filterloser
Rauchwaren eingenommenen Dosis Teer, mit der die Asfinag den Autobahnabschnitt zwischen
St. Pölten und Wien neu asphaltieren könnte: Inhaltlich führt Mark Lanegan mit
diesem auf tiefstem Deep-Throat-Niveau zu uns sprechenden Organ bald hinunter
auf Grabesebene. Schattseitige Lieder über finstere Existenzen bestimmen sein Werk
– entsprechend programmatisch ging es am Donnerstag in der ausverkauften Arena
mit dem „Gravedigger’s Song“ los, der Eröffnungsnummer von Lanegans aktuellem Album
„Blues Funeral“.
Prototypisch für sein Spätwerk sägten die Gitarren dabei
zu metallischem Schlagzeug, um einen geerdeten Ur-Blues ins Reich des Rock-’n’-Roll zu überführen, das Lanegan ab Mitte der 80er-Jahre mit den
Grunge-Vorreitern Screaming Trees und später als Mitglied der Queens Of The
Stone Age ergiebig durchstreifen sollte. Sein Solowerk hingegen war einst
ruhiger gestartet, um überwiegend akustische Folksongs mit Gospeluntertönen zu versehen.
Live erinnerte der 47-Jährige nur auszugsweise an diese Phase – etwa mit dem
über satte Twang-Gitarren mit Ennio Morricone durch die Wüste trabenden „Pendulum“
vom 1994 veröffentlichten Album „Whiskey For The Holy Ghost“ oder dem
„Resurrection Song“, einem innigen Errettungsmantra –, um neben den neuen Songs
vor allem aus seiner „Bubblegum“-Ära zu kredenzen, in der der Strom vor acht
Jahren wieder stärker zu fließen begann.
Der Vorwurf, Lanegan würde live einem Standbild
gleichen, war dabei zwar nachvollziehbar – allerdings sorgt der Mann auch mit
einer an Arbeitsverweigerung grenzenden „Bühnen-Performance“ noch für erhebliche
Emphase. Mit seiner vierköpfigen Band, die sich erstaunlich genau an den
Studioversionen der Songs orientierte, sollten Lanegans Befreiungslieder und
seine Grubenstimme allein für einen glatten K.-o.-Sieg reichen.
Höhepunkte waren das krachende „Quiver Syndrome“
ebenso wie der aus den Niederungen der Drogenhölle geschöpfte „Methamphetamine
Blues“, der dem Abgrund im Stadium der süßesten Ekstase entgegenblickte: „I
don’t want to leave this heaven so soon!“ Das Lanegans Kernkompetenzen mit
einem Bossa-Beat auffrischende „Wedding Dress“ gefiel wie der durchaus ungewohnte
Elektropop von „Ode To Sad Disco“, zu dem Lanegan nach einer Tour im Vorprogramm
von Depeche Mode fand, während „St. Louis Elegy“ erhaben in eine Schattenwelt
aus Whiskey und Tränen entführte.
Mit der Textzeile „There
is no morphine, I’m only sleeping!“ rechtfertigte sich der Sänger bei „One
Hundred Days“ vorbeugend und augenzwinkernd, als sein lyrisches Ich die
Rückkehr einer Geliebten delirierte. Der Traum als letzte Chance auf eine
mögliche Utopie, einst schon von Roy Orbison mit dem Götterschlager „In Dreams“
besungen, er blieb ohne Happy End: „If tears were liquor I’d have drunk myself
sick.“
(Wiener Zeitung, 24./25.3.2012)

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