Der Deutsche
gilt in der Welt als hässlich und humorlos. Was nun den ersten Vorwurf
betrifft, so muss am Beispiel der Hamburger Technorapper von Deichkind festgestellt
werden: Ja, das stimmt.
In
der Wiener Stadthalle stecken sechs erwachsene Männer in knappen Badehosen und
schütteln ihre blanken Wampen rhythmisch im Takt, wenn sie nicht gerade wie
Kleinkinder am Trampolin springen oder mit dem Bürosessel über die Bühne rollen.
Deichkind, ihre Müllsackbekleidung und ihre blinkenden Tetraeder-Hüte „auf
Arbeit“: Keine Choreografie ist zu dämlich, kein Outfit zu würdelos. Man muss
sich einen Abend mit dieser Band als immerwährenden Kinderfasching oder als ewige
Maturareise vorstellen – mit zunehmender Konzertdauer und den direkt
proportional blöder werdenden Requisiten allerdings ist bald eines gewiss: In
Wahrheit haben wir es hier mit einer 2.0-Variante der EAV zu tun, die für
norddeutsche Ballermänner nachgestellt wird. Tief in der Sahara reiten Deichkind
zwar auf keinem Dromedara, sie bilden zur Miniaturpolonaise aber ein Zwei-Mann-Zebra,
um die längst in bester Kölle-Alaaf-Stimmung befindlichen Austausch-Abiturienten
im Saal noch einmal zu erheitern. Kann denn Schwachsinn Sünde sei?
Sollte
es sich also um Humor handeln, wenn man trotzdem lacht, kann Deichkind kein
Vorwurf gemacht werden. Umgelegt auf eine andere Belustigungsbranche, die einst
über das Einhandmagazin Weltruhm erlangte, stehen Deichkind für die Operation
Youporn in der deutschen Comedywelt: Da geht noch mehr! Mehr heißt: Alles „fett
und derbe“. Keine Botschaft ist ihre Botschaft. Ihr Nullniveau ist unser
Niveau. Wenn Deichkind für die Prekariatshymne „Bück dich hoch“ als ewige
Praktikanten auf der Bühne stehen und es dabei vom Bürosessel direkt in den
Rollstuhl geht oder mit dem Raupkopisten-Manifest „Illegale Fans“ die Freiheit
im Internet nicht ad ACTA gelegt werden soll, ist das nur ein
Ablenkungsmanöver. Auf einer mit 22 beweglichen Elementen bespielten Bühne soll
vor allem an die letzte Freiheit des zum Lernen gezwungenen Masterstudenten
erinnert werden. Wo man früher nicht vor 14 Uhr in der Früh aufgestanden wäre,
um ins Audimax-Café auf ein Bier schwänzen zu gehen, muss die knappe Restzeit heute
zumindest am Freitagabend noch mit Sinn aufgeladen werden. Wie jetzt, es gibt
keine Aussage bei Deichkind? „Kein Gott, kein Staat, lieber was zu saufen!“
Hallo?
„Hört ihr die
Signale?“
Live
wird diese frohe Botschaft zu vergnügt im Vollplayback aus dem iPod strömenden
Brachialsynthesizern und bevorzugt zwischen Techno, Elektro und Hip-Hop pendelnden
Beats verkündet. Nicht einmal ein DJ macht sich die Mühe, angestrengt Arbeit zu
simulieren. „Arbeit nervt!“, die folgerichtige Ansage, verbrüdert sich mit dem
Bekenntnis aller willigen Geister, die den Bioladen am Eck dann aber doch für
den Big Mac links liegen lassen. „Leider geil“ bedeutet, dass die Zeit auf
Erden viel zu kurz ist, um zu leben, „wie man leben soll“.
Deichkind mögen in Interviews zwar Scham für ihre Texte bekunden, live kommt dieser Spaß aber todernst daher: „Hört ihr die Signale? Die Saufsignale? Ein Hoch auf die internationale Getränkequalität! Ein Hoch auf die Säufersolidarität!“ Zum diesbezüglichen Konzerthöhepunkt ziehen Deichkind in einem überdimensionierten Bierfass ihre Runden durch die Halle. Später schaut ein Holly-Johnson-Imitator vorbei, um auf dem Fass stehend an Frankie Goes to Hollywood zu erinnern. Ein Deichkind selbst rudert mit dem Gummiboot im Federn- und Konfettiregen noch einmal über die Köpfe der Konzertgänger hinweg.
Deichkind mögen in Interviews zwar Scham für ihre Texte bekunden, live kommt dieser Spaß aber todernst daher: „Hört ihr die Signale? Die Saufsignale? Ein Hoch auf die internationale Getränkequalität! Ein Hoch auf die Säufersolidarität!“ Zum diesbezüglichen Konzerthöhepunkt ziehen Deichkind in einem überdimensionierten Bierfass ihre Runden durch die Halle. Später schaut ein Holly-Johnson-Imitator vorbei, um auf dem Fass stehend an Frankie Goes to Hollywood zu erinnern. Ein Deichkind selbst rudert mit dem Gummiboot im Federn- und Konfettiregen noch einmal über die Köpfe der Konzertgänger hinweg.
Nur
eines ist gemein: Von Druckbetankung und Bierdusche im großen Stil kann diesmal
kaum die Rede sein. Deichkind sind toll, aber beim nächsten Mal fahren wir
wieder „Summer Splash“ in die Türkei. Zur Mitte, zur Titte, zum Sack: Zack,
zack!
(Wiener Zeitung, 23.3.2012)

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