Donnerstag, März 22, 2012

Das Leben als Maturareise

Krawall und Remmidemmi: Die Technorapper von Deichkind machten Party in Wien

Der Deutsche gilt in der Welt als hässlich und humorlos. Was nun den ersten Vorwurf betrifft, so muss am Beispiel der Hamburger Technorapper von Deichkind festgestellt werden: Ja, das stimmt.

In der Wiener Stadthalle stecken sechs erwachsene Männer in knappen Badehosen und schütteln ihre blanken Wampen rhythmisch im Takt, wenn sie nicht gerade wie Kleinkinder am Trampolin springen oder mit dem Bürosessel über die Bühne rollen. Deichkind, ihre Müllsackbekleidung und ihre blinkenden Tetraeder-Hüte „auf Arbeit“: Keine Choreografie ist zu dämlich, kein Outfit zu würdelos. Man muss sich einen Abend mit dieser Band als immerwährenden Kinderfasching oder als ewige Maturareise vorstellen – mit zunehmender Konzertdauer und den direkt proportional blöder werdenden Requisiten allerdings ist bald eines gewiss: In Wahrheit haben wir es hier mit einer 2.0-Variante der EAV zu tun, die für norddeutsche Ballermänner nachgestellt wird. Tief in der Sahara reiten Deichkind zwar auf keinem Dromedara, sie bilden zur Miniaturpolonaise aber ein Zwei-Mann-Zebra, um die längst in bester Kölle-Alaaf-Stimmung befindlichen Austausch-Abiturienten im Saal noch einmal zu erheitern. Kann denn Schwachsinn Sünde sei?

Sollte es sich also um Humor handeln, wenn man trotzdem lacht, kann Deichkind kein Vorwurf gemacht werden. Umgelegt auf eine andere Belustigungsbranche, die einst über das Einhandmagazin Weltruhm erlangte, stehen Deichkind für die Operation Youporn in der deutschen Comedywelt: Da geht noch mehr! Mehr heißt: Alles „fett und derbe“. Keine Botschaft ist ihre Botschaft. Ihr Nullniveau ist unser Niveau. Wenn Deichkind für die Prekariatshymne „Bück dich hoch“ als ewige Praktikanten auf der Bühne stehen und es dabei vom Bürosessel direkt in den Rollstuhl geht oder mit dem Raupkopisten-Manifest „Illegale Fans“ die Freiheit im Internet nicht ad ACTA gelegt werden soll, ist das nur ein Ablenkungsmanöver. Auf einer mit 22 beweglichen Elementen bespielten Bühne soll vor allem an die letzte Freiheit des zum Lernen gezwungenen Masterstudenten erinnert werden. Wo man früher nicht vor 14 Uhr in der Früh aufgestanden wäre, um ins Audimax-Café auf ein Bier schwänzen zu gehen, muss die knappe Restzeit heute zumindest am Freitagabend noch mit Sinn aufgeladen werden. Wie jetzt, es gibt keine Aussage bei Deichkind? „Kein Gott, kein Staat, lieber was zu saufen!“ Hallo?

„Hört ihr die Signale?“

Live wird diese frohe Botschaft zu vergnügt im Vollplayback aus dem iPod strömenden Brachialsynthesizern und bevorzugt zwischen Techno, Elektro und Hip-Hop pendelnden Beats verkündet. Nicht einmal ein DJ macht sich die Mühe, angestrengt Arbeit zu simulieren. „Arbeit nervt!“, die folgerichtige Ansage, verbrüdert sich mit dem Bekenntnis aller willigen Geister, die den Bioladen am Eck dann aber doch für den Big Mac links liegen lassen. „Leider geil“ bedeutet, dass die Zeit auf Erden viel zu kurz ist, um zu leben, „wie man leben soll“. 

Deichkind mögen in Interviews zwar Scham für ihre Texte bekunden, live kommt dieser Spaß aber todernst daher: „Hört ihr die Signale? Die Saufsignale? Ein Hoch auf die internationale Getränkequalität! Ein Hoch auf die Säufersolidarität!“ Zum diesbezüglichen Konzerthöhepunkt ziehen Deichkind in einem überdimensionierten Bierfass ihre Runden durch die Halle. Später schaut ein Holly-Johnson-Imitator vorbei, um auf dem Fass stehend an Frankie Goes to Hollywood zu erinnern. Ein Deichkind selbst rudert mit dem Gummiboot im Federn- und Konfettiregen noch einmal über die Köpfe der Konzertgänger hinweg.

Nur eines ist gemein: Von Druckbetankung und Bierdusche im großen Stil kann diesmal kaum die Rede sein. Deichkind sind toll, aber beim nächsten Mal fahren wir wieder „Summer Splash“ in die Türkei. Zur Mitte, zur Titte, zum Sack: Zack, zack!

(Wiener Zeitung, 23.3.2012)

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