Udo Jürgens triumphierte in der Wiener Stadthalle.
Udo
Jürgens beginnt kein Konzert. Udo Jürgens zieht ein. In der ausverkauften
Wiener Stadthalle geschah das am Dienstag während der zunächst noch aus dem Off
angestimmten Reflexion über den Gang auf die Bühne („Noch drei Minuten“), an deren
Ende sich der Vorhang hob und ein Bekenntnis stand: „Ich glaub' ich fliege, die
Welt versinkt um mich. So ist es immer wieder, und darum singe ich!“
Damit
war zunächst einmal erklärt, warum Udo Jürgens unter den Österreichern zu jener
raren Spezies gehört, die sich nicht freut, weit diesseits der 60 in
ÖBB-Frühpension gehen oder die Hacklerregelung in Anspruch nehmen zu dürfen. Der
Applaus, der ihm dabei entgegenschlug, mag aus Motivationsgründen noch immer
hilfreich sein, um sich auch im stolzen Alter von 77 Jahren weiterhin für das
Erwerbsleben zu entscheiden und erneut auf große Fahrt durch Österreich,
Deutschland und die Schweiz aufzubrechen. Im Gegensatz zu, sagen wir, Winkelschneider
und Presslufthammer klingt das Klatschen außerdem auch wesentlich angenehmer, wenn
das Tagwerk verrichtet wird.
Nur ein Musikant
Das
Publikum also liebt Udo Jürgens. Und Udo Jürgens liebt zurück. Wenn der Beau
als ewiger Lebemann die Groupies heute auch nicht mehr zur Nacht der offenen
Tür ins Hotelzimmer lädt, so wird diese Liebe doch mit zärtlichen Gesten zum
Ausdruck gebracht. Udo Jürgens haucht Küsschen ins Publikum. Udo Jürgens schüttelt
Hände und senkt demütig sein Haupt. Bald werden erste Geschenke zur Bühne
gebracht, weil man als Entertainer („Ich bin nur ein Musikant!“) auch nicht
befürchten muss, wegen Bestechlichkeit vor Gericht oder bei Gabi Moser im
U-Ausschuss zu landen.
Mit
„Schenk mir einen Traum“ vom aktuellen Album „Der ganz normale Wahnsinn“, das die
Tournee im ersten Konzertteil sehr auf Kosten der Hits dominiert, bewies
Jürgens erstmals an diesem Abend seine Themenführerschaft in Sachen
Menschlichkeit. Den Überlegungen jener Phase folgend, als er mit „5 Minuten vor
12“ die Nachhaltigkeit für sich entdeckte, mag die Welt zwar kaputt sein, kalt
und gefährlich. Flankiert von der Pepe Lienhard Band, die den Chanson-Charakter
der Lieder mit Wohlfühlarrangements hervorstrich, als Big Band nach Las Vegas
schielte oder es, wie mit der Filmmusik zu „Der Mann mit dem Fagott“, auch
symphonisch anlegte, erneuerte Jürgens aber sein Bekenntnis zu einem: Als
Liebende sind wir alle erheblich zusammener. Allein sind wir verloren und tot. Liebe
ohne Leiden ist das, was Männer mit Hang zur Zweitfrau ihren eigenen Töchtern wünschen,
weil sie als ewiger Geilspecht selbst eine Gaby im Park stehen haben.
Lebensbewältigungslyrik
„Dafür
brauch ich dich“, „Flieg mit mir“, „Schenk mir noch eine Stunde“: Anders als
sonst im Schlagerfach üblich, entführt Jürgens dabei aber nicht nach Utopia. Hinter
diesem mit reichlich Lebensbewältigungslyrik und von Udo Jürgens auch in
zahlreichen Ansprachen als Elder Statesman bekundeten, lauten Schrei nach Liebe,
steckt eine entscheidende Erkenntnis: „Wer nie verliert, hat den Sieg nicht
verdient“ – wir dürfen nicht, wir müssen scheitern. „Heute beginnt der Rest
deines Lebens“ besagt folgerichtig auch nicht, dass bald alles krachen geht. Im
Notfall ist das Versagen die Chance, nach einem Haircut neu anzufangen.
Dass
sich Udo Jürgens aktuell über Anglizismen mokiert und hinter dem Internet den
Gottseibuns persönlich erkennt, steht ihm weniger gut – im Konzert aber spielte
das keine Rolle. „Ich war noch niemals in New York“ als alter Wunsch, vom
Zigarettenholen nicht mehr zurückzukommen, und „Ein ehrenwertes Haus“, mit dem
die Heuchler einst abgewatscht wurden, führten ein letztlich enthusiasmiertes
Publikum hin zum Grande Finale.
Mit
Udo Jürgens im Bademantel und allein am Klavier waren spätestens bei
„Griechischer Wein“ alle glücklich. Blumensträuße, rote Rosen, Küsse: triumphal.
(Wiener Zeitung, 15.3.2012)

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