Dass über Julia
Holter noch relativ wenig bekannt ist, hat einen entscheidenden Vorteil: Man
kann sich so ganz auf eine Musik konzentrieren, die Aufmerksamkeit auch durchaus
voraussetzt. Schließlich produziert die ehemalige Kunststudentin zu Hause im
Schlafzimmer mitunter schwer fassbare Neunminüter, deren Schwerpunkt auf der
Errichtung von Atmosphären liegt.
Auf
ihrem Debütalbum „Tragedy“ führte diese Arbeitsweise zu weit ausfransenden
Studien, die bei starken Einflüssen aus der sogenannten E-Musik auch zwischen
Pop und Ambient pendelten und mit Holters verhuschtem Hallgesang als Loblieder
auf die mystische Schönheit daherkamen. Das Motto dieser von starken Brüchen
und dem Rauschen der Heimwerksproduktion lebenden Unternehmung war mit einem
Songtitel rasch erklärt – Try To Make
Yourself A Work Of Art –, und Julia Holter in Kunststudierendenkreisen und in der
Blogosphäre bald auf der Watchlist gelandet.
Thematisch
bezog sich das programmatisch betitelte Album auf die Griechische Tragödie im
Allgemeinen und auf Euripides' „Der bekränzte Hippolytus“ im Speziellen. Dieses
auch für das Alter der Protagonistin (Jahrgang 1984) und ihre Herkunft aus der
sonnigen Entertainment-Metropole Los Angeles ungewöhnliche Sujet wurde dabei
ebenso mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit bedacht wie teils aufgebrochen, wenn
Holter Textzeilen daraus etwa durch den Vocoder schickte und das antike Stück
als Roboterstimme 2439 Jahre nach seiner Uraufführung modernistisch nachhallen
ließ.
Mit
dem nun vorliegenden Nachfolgewerk „Ekstasis“, das auch mit Titeln wie
„Marienbad“ oder „Für Felix“ Wert auf seinen
europäischen Charakter legt, bringt Holter ihre Ideenwelt vorsichtig
zugänglicher und ausproduzierter auf den Punkt. Dabei gibt es nicht nur aufgrund
der Bandbreite an Einflüssen reichlich zu entdecken. Anknüpfungspunkte wie der
Avantgarde-Pop einer Laurie Anderson oder die Minimal Music eines Steve Reich bis
hin zu zuckrigem Lo-Fo-Synthie-Pop sorgen teils binnen nur eines Liedes für
erstaunliche Wendungen. Luftige Cembali tänzeln mit barocken Chören durch den
Musenhain. Das Saxofon kommt hörbar vom Jazz. Ein Crashkurs in Sachen indischer
Folkflore bei Pandit Pashupatinath Mishra hinterließ zusätzliche Spuren. Mit
der völlig in sich versunkenen, achtminütigen Meditation „Boy In Your Room“
wiederum reiht sich Holter in Sachen aktueller Ambient-Produktionen nur knapp hinter
James Kirby alias The Caretaker und dessen Arbeiten zum Thema Musik und
Gedächtnis ein. Das klingt dementsprechend auch nach der Übersetzung von
Holters entrücktem Marienerscheinungsblick aus dem Musikvideo zu „In The Same
Room“.
Kurz:
Julia Holter kann durchaus anstrengend sein. Ihre als Kaleidoskop gehaltene
Musik aber verliert auch nach mehreren Hördurchgängen nichts von ihrer
Strahlkraft.
Julia
Holter: Ekstasis (RVNG Intl.)
(Wiener Zeitung, 17./18.3.2012)

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