Michael
Kiwanuka, Jahrgang 1988, gilt mit seinem Retro-Soul als Star des Jahres 2012
- Mit
seinem Debütalbum setzt der Brite auf nachdenkliche Töne
Als ein Star dieses
Jahres gilt Michael Kiwanuka spätestens, seit er im Jänner als Sieger der „BBC
Sound Of 2012“ ermittelt wurde. Immerhin brachte die Wertung, die mit einiger
Treffsicherheit die Pop-Verheißungen der Folgesaison prognostiziert – wohlgemerkt
natürlich auch deshalb, weil sie diese als sich selbst erfüllende Prophezeiung zu
einem erheblichen Teil mitgestaltet –, seit 2003 bereits so unterschiedliche
Namen wie Franz Ferdinand, Mika oder Adele frühzeitig ins Rampenlicht
Passend
zum schnelllebigen Charakter einer atemlosen Branche, tauchte der 1988 als Sohn
ugandischer Eltern in London geborene Sänger mit der künstlerischen
Ansage „Tell Me A Tale“ erst vor wenigen Monaten einigermaßen aus dem Nichts im
Internet auf. Noch kurz zuvor hatte sich Kiwanuka als Session-Musiker verdingt
und seine private Vorliebe für unabhängig von Raum und Zeit stets angesagte
Songwriter wie Bob Dylan oder altersmäßig offensichtlichere Generationshelden
wie Radiohead in erste Schreibambitionen überführt. Erst eine intensive
Hörbegegnung mit den alten Soulmännern von Curtis Mayfield bis Otis Redding und
die Entdeckung der eigenen Stimme aber ließen Kiwanuka auch in seinem Schaffen
zurück zum Ursprung gehen.
Im Club entdeckt
Im Club entdeckt
Nach
zahlreichen Clubkonzerten in London, die neben einer wachsenden Fangemeinde
bald auch die Industrie hellhörig werden ließen, verdiente sich Kiwanuka seine
Sporen zielgruppenadäquat live im Vorprogramm von Adele. Dort sollte er ein
Publikum abholen, das spätestens seit Amy Winehouse als Cashcow des Pop (wieder-)entdeckt
wurde. Soul gilt nicht nur in Zeiten der Krise sowie der globalen Depression
auf den Märkten und ihren Auswirkungen auf das kollektive Ich als bester
denkbarer Seelentröster. Und für die Breitenwirkung nicht unerheblich, kann
hier künstlerisch Hochwertiges beim Sonntagsbrunch auch anstrengungsfrei
beiläufig gehört werden.
Exakt wie einst
Auffällig
bei Kiwanuka ist neben seiner Erscheinung als Musiker von nebenan, dem der
Rummel um seine Person eher peinlich sein dürfte (womit dem
Publikumsinteresse am „Aufrechten“, „Ehrlichen“ und „Authentischen“ einmal mehr
Vorschub geleistet wird), vor allem die musikalische Nähe zum Originalsound
einer solchermaßen gewürdigten Ära. Wie auch das morgen, Freitag, erscheinende
Debütalbum „Home Again“ (Universal Music) über weite Strecken beweist, wird
Soul hier nicht etwa mit den Mitteln der Jetztzeit gedeutet oder auch nur
ansatzweise modernisiert. Sowohl in Hinsicht auf Songwriting, Instrumentarium,
Arrangements und auch die Aufnahmetechnik wurde bei Stücken wie „I Won’t Lie“
oder dem kammermusikalisch umrahmten und für die tendenziell gedämpfte Stimmung
des Albums vergleichsweise luftigen „I’ll Get Along“ keine Anstrengung
ausgelassen, um eins zu eins wie allfällige historische Vorbilder zu klingen. Während
Kiwanuka begnadet singt wie Bill Withers und das smooth angejazzte „Tell Me A
Tale“ als Schlüsselstück mit Querflöten und Streichern auf Marvin Gayes „What’s
Going On?“-Album nicht unangenehm auffallen würde, erklärt das etwas zeitlosere
und dabei erstaunlich lasche Titelstück auch, dass diese Entscheidung so falsch
nicht war. Für den modernen Meister gilt: Besser gut kopieren als schlecht
nachzeichnen.
Musikalisch leidet das
starke „Home Again“ noch am ehesten unter seinem gedrosselten Tempo oder dem
Umstand, dass Kiwanuka kein offensichtliches „I Need A Dollar“ oder „Rolling In
The Deep“ vorweisen kann. Inhaltlich bedeutet Leid unter besonderer
Berücksichtigung der Pole „Why is it I can’t find peace?“ und „Lord, I’ve been
trying hard“ hingegen ein Krisenkino, das sich vor allem nach Errettung und
Erlösung sehnt – sei es durch die Hand Gottes oder die einer Frau. „Home Again“
sagt am Ende auch: Es ist verdammt hart, ein Jungmann zu sein.
(Wiener Zeitung, 8.3.2012)

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