Mittwoch, März 07, 2012

Zurück zum Ursprung

Michael Kiwanuka, Jahrgang 1988, gilt mit seinem Retro-Soul als Star des Jahres 2012

Mit seinem Debütalbum setzt der Brite auf nachdenkliche Töne

Als ein Star dieses Jahres gilt Michael Kiwanuka spätestens, seit er im Jänner als Sieger der „BBC Sound Of 2012“ ermittelt wurde. Immerhin brachte die Wertung, die mit einiger Treffsicherheit die Pop-Verheißungen der Folgesaison prognostiziert – wohlgemerkt natürlich auch deshalb, weil sie diese als sich selbst erfüllende Prophezeiung zu einem erheblichen Teil mitgestaltet –, seit 2003 bereits so unterschiedliche Namen wie Franz Ferdinand, Mika oder Adele frühzeitig ins Rampenlicht

Passend zum schnelllebigen Charakter einer atemlosen Branche, tauchte der 1988 als Sohn ugandischer Eltern in London geborene Sänger mit der künstlerischen Ansage „Tell Me A Tale“ erst vor wenigen Monaten einigermaßen aus dem Nichts im Internet auf. Noch kurz zuvor hatte sich Kiwanuka als Session-Musiker verdingt und seine private Vorliebe für unabhängig von Raum und Zeit stets angesagte Songwriter wie Bob Dylan oder altersmäßig offensichtlichere Generationshelden wie Radiohead in erste Schreibambitionen überführt. Erst eine intensive Hörbegegnung mit den alten Soulmännern von Curtis Mayfield bis Otis Redding und die Entdeckung der eigenen Stimme aber ließen Kiwanuka auch in seinem Schaffen zurück zum Ursprung gehen. 

Im Club entdeckt

Nach zahlreichen Clubkonzerten in London, die neben einer wachsenden Fangemeinde bald auch die Industrie hellhörig werden ließen, verdiente sich Kiwanuka seine Sporen zielgruppenadäquat live im Vorprogramm von Adele. Dort sollte er ein Publikum abholen, das spätestens seit Amy Winehouse als Cashcow des Pop (wieder-)entdeckt wurde. Soul gilt nicht nur in Zeiten der Krise sowie der globalen Depression auf den Märkten und ihren Auswirkungen auf das kollektive Ich als bester denkbarer Seelentröster. Und für die Breitenwirkung nicht unerheblich, kann hier künstlerisch Hochwertiges beim Sonntagsbrunch auch anstrengungsfrei beiläufig gehört werden.

Exakt wie einst

Auffällig bei Kiwanuka ist neben seiner Erscheinung als Musiker von nebenan, dem der Rummel um seine Person eher peinlich sein dürfte (womit dem Publikumsinteresse am „Aufrechten“, „Ehrlichen“ und „Authentischen“ einmal mehr Vorschub geleistet wird), vor allem die musikalische Nähe zum Originalsound einer solchermaßen gewürdigten Ära. Wie auch das morgen, Freitag, erscheinende Debütalbum „Home Again“ (Universal Music) über weite Strecken beweist, wird Soul hier nicht etwa mit den Mitteln der Jetztzeit gedeutet oder auch nur ansatzweise modernisiert. Sowohl in Hinsicht auf Songwriting, Instrumentarium, Arrangements und auch die Aufnahmetechnik wurde bei Stücken wie „I Won’t Lie“ oder dem kammermusikalisch umrahmten und für die tendenziell gedämpfte Stimmung des Albums vergleichsweise luftigen „I’ll Get Along“ keine Anstrengung ausgelassen, um eins zu eins wie allfällige historische Vorbilder zu klingen. Während Kiwanuka begnadet singt wie Bill Withers und das smooth angejazzte „Tell Me A Tale“ als Schlüsselstück mit Querflöten und Streichern auf Marvin Gayes „What’s Going On?“-Album nicht unangenehm auffallen würde, erklärt das etwas zeitlosere und dabei erstaunlich lasche Titelstück auch, dass diese Entscheidung so falsch nicht war. Für den modernen Meister gilt: Besser gut kopieren als schlecht nachzeichnen.

Musikalisch leidet das starke „Home Again“ noch am ehesten unter seinem gedrosselten Tempo oder dem Umstand, dass Kiwanuka kein offensichtliches „I Need A Dollar“ oder „Rolling In The Deep“ vorweisen kann. Inhaltlich bedeutet Leid unter besonderer Berücksichtigung der Pole „Why is it I can’t find peace?“ und „Lord, I’ve been trying hard“ hingegen ein Krisenkino, das sich vor allem nach Errettung und Erlösung sehnt – sei es durch die Hand Gottes oder die einer Frau. „Home Again“ sagt am Ende auch: Es ist verdammt hart, ein Jungmann zu sein.

(Wiener Zeitung, 8.3.2012)

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