- Musik zwischen
Pathos, Schlager, Rammstein und U2
Mit knapp
eineinhalb Millionen verkauften Einheiten des Erfolgsalbums „Große Freiheit“ gelten
der biografisch umrätselte „Graf“ und sein Projekt Unheilig seit dem Jahr 2010
als weltberühmt in Deutschland. Während die Musik der einst in Aachen
gegründeten Unternehmung das Leben bevorzugt über eine alte Weisheit des nun auch
als Duettpartner gewonnenen Wanderpredigers Xavier Naidoo zu erklären versucht
– dieser Weg wird kein leichter sein! –, führte auch die Laufbahn von Unheilig
bis zu diesem Moment über steiniges Terrain. Schließlich dauerte es bis zum
Durchbruch im Mainstream sieben beschwerliche Alben lang, auf denen die
Standortbestimmung etwa auch mit der genrespezifischen Bearbeitung klassischer
deutscher Weihnachtslieder („Kläng, Glöckchen, Klängälängäläng!“) hin zum
Wave-Gotik-Treffen nach Leipzig und auf das Cover einschlägiger Fachmagazine
für den musikaffinen Lack- und Lederfreund führte.
Unheilige Dreifaltigkeit
Als
Graf aus dem Grubenland musste der anonyme Melancholiker zunächst das Jammertal
der Düsterromantik durchschreiten, um das Licht in den Herzen der Republik
heller denn je erstrahlen zu lassen. Nach der Trennung von seinen Mitmusikern führte
er das Projekt bereits ab 2002 als Sänger, Texter und Produzent und
solchermaßen in Gestalt der unheiligen Dreifaltigkeit fort. Und er landete
nicht zuletzt dank seines Schritts aus dem Schattenreich und der dabei
abgefallenen Weltumarmungshymne „Für immer“ einen Hit im Zeichen jenes schweren
Pathos, das bekanntlich auch bereits Herbert Grönemeyer als bundesdeutsche
Erfolgsformel diente. Während der Graf das Interesse an der von ihm
geschaffenen Kunstfigur auch über die Verschleierung seines tatsächlichen Ichs
bis hin zur Negierung seines bürgerlichen Namens weckte, dominierten pünktlich
zur Krise und noch vor dem „Born To Die“-Jahr 2012 die Durchhalteparolen: Im
Angesicht des Todes und unseres Wissens um die Endlichkeit aller Dinge beschwor
mit „Geboren um zu leben“ ein weiterer Hit die Bedeutsamkeit der menschlichen Existenz
– sowie die Notwendigkeit, aus der verbleibenden Restzeit „Tage wie Gold“ zu
machen. Mit
„Lichter der Stadt“ belegt auch das nun vorliegende Nachfolgewerk im
Intentionsmodus „berühren wollend“ den unbedingten Krisencharakter von Unheilig
– tatsächlich dürfte es für den Grafen in Zeiten der Hochkonjunktur deutlich
schwieriger sein, mit diesem Zugang eine Mehrheit zu finden.
Sorge dich nicht!
Grundiert auf einer kruden musikalischen Mischung aus Balladen mit üppigem Streicherschmelz, Rammstein-Gedächtnisriffs, der strammdeutschen Deklamation eines Till Lindemann, U2-Gitarren (Pathos!) und Schlagerrefrains, wird das Gute und Schöne erst vor dem Hintergrund der kalten Tatsachen bedeutsam: Allein sind wir verloren. Gemeinsam sind wir zusammener. Wir werden alle sterben. Lass und das Beste aus unseren Leben machen. Der Tod ist das Ende, aber die schöne Erinnerung bleibt.
Sorge dich nicht!
Grundiert auf einer kruden musikalischen Mischung aus Balladen mit üppigem Streicherschmelz, Rammstein-Gedächtnisriffs, der strammdeutschen Deklamation eines Till Lindemann, U2-Gitarren (Pathos!) und Schlagerrefrains, wird das Gute und Schöne erst vor dem Hintergrund der kalten Tatsachen bedeutsam: Allein sind wir verloren. Gemeinsam sind wir zusammener. Wir werden alle sterben. Lass und das Beste aus unseren Leben machen. Der Tod ist das Ende, aber die schöne Erinnerung bleibt.
In
schwierigen Zeiten wird die Ankunft des Heilands erwartet. Das Volk heißt den
Grafen willkommen. Der Graf reicht die Hand. Er spendet Trost, Kraft und Rat.
Die Botschaft lautet: „Hab keine Angst“ und „Sorge dich nicht“. Und sie wird
mit zweifelhafter Lyrik ins Poesiealbum eingetragen: „Ich wünsche mir, wenn du
zu den Sternen siehst, dass du dich einmal an mich erinnerst, weil du immer
mein Stern bist.“
Am
Ende menschelt es bei Unheilig so sehr, dass sich selbst der in bester
Rammstein-Tradition besungene „Eisenmann“ als stahlinistisches Teutonenmännchen
beim Aufstieg aus der Flammenwiege nach nichts weniger sehnen darf als nach einem
kleinen bisschen Liebe. Hoffnung ist der Antrieb, Halt ist das Ziel. „Ich suche
mir ein kleines Glück, und das Leben ist schön.“ Wie gesagt: Es sind schwierige
Zeiten.
Unheilig:
Lichter der Stadt (Vertigo Berlin / Universal)
(Wiener Zeitung, 4.4.2012)

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