Montag, April 02, 2012

Die Endzeit geht krachen

Jaz Coleman und die Düstermänner von Killing Joke veröffentlichen ein neues Album

-  Auf „MMXII“ geht die Welt schon wieder unter

Wien. Jaz Coleman gilt auch für die auf ewig im Zwielicht gefangene Schattenwelt des obskuren Gothic-Imperiums als Härtefall. Immerhin flüchtete der geborene Brite 1982 nach Island, um dort, zwischen Geysiren und Vulkanen, dem als sicher geglaubten Weltuntergang auszukommen.

Im Gegensatz zu Harold Camping, dem US-amerikanischen Radioprediger, der die Apokalypse nach zweimaliger Prophezeiung und ihrem ebenso häufigen Ausbleiben sehr zum Ärger seiner treuesten Fans schließlich ganz absagte, muss man sich den Sänger der einflussreichen Post-Punk-Band Killing Joke als prinzipientreu vorstellen. Weil nun nicht nur der Maya-Kalender ende und es doch unklug wäre, die Weissagungen der Urvölker zu missachten, lässt der Mann mit der heiseren Stimme auf dem neuen und nach dem Untergangsjahr betitelten Killing-Joke-Album „MMXII“ die Welt noch einmal krachen gehen. Und er bereitet mit seiner Band derzeit ein Festival vor, das am 21. und 22. Dezember in Neuseeland dem Ende entgegenblickt: „Niemand weiß, was passieren wird.“

Gefeierter Mythos

Düstere Szenarien bestimmen das Reich von Killing Joke seit 1978. Verankert im Post-Punk, wurde über Metal-Riffs , Gothic-Bezüge und Industrial-Querschläge ein harter und hoffnungsloser Sound aus dem Boden gestampft, ohne den Bands wie die Nine Inch Nails heute nicht vorstellbar wären – die entsprechenden Liebesbekundungen von Trent Reznor, aber auch von Metallica oder Faith No More sind gut dokumentiert. Dass die Band, trotz ihres Gespürs für eingängige Hooks und die nötige Tanzbarkeit auch mit Jahrhundertnummern wie „Love Like Blood“ keinen großen kommerziellen Segen erfuhr, war ihrem Mythos nicht abträglich – im Gegenteil. Und während Jaz Coleman so auch Zeit fand, mit einer Zweitkarriere als klassischer Komponist etwa für das Symphonie Orchester Prag oder als Arrangeur für Nigel Kennedy zu arbeiten, sorgte auch ein drohender Rechtsstreit mit Nirvana für ungeahnte Folgen: Nach dem Selbstmord Kurt Cobains wurde zwar der Frage nicht mehr gerichtlich nachgegangen, ob das Grundmotiv von „Come As You Are“ tatsächlich von der Killing-Joke-Nummer „Eighties“ gestohlen wurde. (Die Antwort, ganz ohne Kadi: Und wie!) Als bekennender Fan konnte Dave Grohl Jaz Coleman allerdings überzeugen, die Band für ihr unbetiteltes Album aus 2003 am Schlagzeug unterstützen zu dürfen. Der dabei entstandene Monolith aus brutaler Härte und konzisem Songwriting gilt unter Feinspitzen als wahrscheinlich bestes Werk der Bandgeschichte.

Heute wieder in ihrer Urbesetzung aktiv, erstaunen Killing Joke auch nach fast dreieineinhalb Jahrzehnten im Geschäft mit ihrer Weigerung, Altersmilde einziehen zu lassen. Wenngleich man sich mit der Single „In Cythera“ auf alte Wave-Stärken besinnt und „On All Hallow’s Eve“ als Rausschmeißer tendenziell nachdenklich anmutet, so übersetzt Jaz Coleman seine Wut weitestgehend doch als musikalischen Flächenbrand aus ewigem Feuer. „Rapture“ groovt mit Halleffekten aus dem Hintergrund rhythmisch zum Finale an der Doublebass-Drum, während „Colony Collapse“ die Ohren mit übersteuerten Fuzzgitarren zum Glühen bringt und „Fema Camp“ archaisch stampft und schnalzt. Das abgedreht-überzeichnete „Glitch“ lässt dann auch mit Colemans gefährlich aus der Kehle gewürgtem „Gesang“ die Frage aufkommen, wie der Mann die aktuelle Tour (und das Konzert in der Szene Wien am 25. April) überstehen soll.

Der haarsträubende Schwachsinn, den Verschwörungstheoretiker hinter den besungenen „Fema Camps“ vermuten, ist übrigens im Internet nachzulesen. Darüber den Zeremonienmantel des Schweigens! Aufgrund der musikalischen Unterstützung mit „MMXII“ gilt allerdings: Vorfreude, große Vorfreude auf den Weltuntergang – und Entzücken darüber, dass die Glocken zum Jüngsten Gericht im Ohr nicht mehr aufhören wollen zu klingeln!

Killing Joke: MMXII (Spinefarm Records / Universal)

(Wiener Zeitung, 3.4.2012)

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