Jaz Coleman und die
Düstermänner von Killing Joke veröffentlichen ein neues Album
- Auf „MMXII“ geht
die Welt schon wieder unter
Wien. Jaz Coleman gilt
auch für die auf ewig im Zwielicht gefangene Schattenwelt des obskuren
Gothic-Imperiums als Härtefall. Immerhin flüchtete der geborene Brite 1982 nach
Island, um dort, zwischen Geysiren und Vulkanen, dem als sicher geglaubten
Weltuntergang auszukommen.
Im
Gegensatz zu Harold Camping, dem US-amerikanischen Radioprediger, der die
Apokalypse nach zweimaliger Prophezeiung und ihrem ebenso häufigen Ausbleiben sehr
zum Ärger seiner treuesten Fans schließlich ganz absagte, muss man sich den
Sänger der einflussreichen Post-Punk-Band Killing Joke als prinzipientreu vorstellen.
Weil nun nicht nur der Maya-Kalender ende und es doch unklug wäre, die
Weissagungen der Urvölker zu missachten, lässt der Mann mit der heiseren Stimme
auf dem neuen und nach dem Untergangsjahr betitelten Killing-Joke-Album „MMXII“
die Welt noch einmal krachen gehen. Und er bereitet mit seiner Band derzeit ein
Festival vor, das am 21. und 22. Dezember in Neuseeland dem Ende entgegenblickt:
„Niemand weiß, was passieren wird.“
Gefeierter
Mythos
Düstere
Szenarien bestimmen das Reich von Killing Joke seit 1978. Verankert im
Post-Punk, wurde über Metal-Riffs , Gothic-Bezüge und Industrial-Querschläge ein
harter und hoffnungsloser Sound aus dem Boden gestampft, ohne den Bands wie die
Nine Inch Nails heute nicht vorstellbar wären – die entsprechenden Liebesbekundungen
von Trent Reznor, aber auch von Metallica oder Faith No More sind gut
dokumentiert. Dass die Band, trotz ihres Gespürs für eingängige Hooks und die
nötige Tanzbarkeit auch mit Jahrhundertnummern wie „Love Like Blood“ keinen
großen kommerziellen Segen erfuhr, war ihrem Mythos nicht abträglich – im
Gegenteil. Und während Jaz Coleman so auch Zeit fand, mit einer Zweitkarriere
als klassischer Komponist etwa für das Symphonie Orchester Prag oder als Arrangeur
für Nigel Kennedy zu arbeiten, sorgte auch ein drohender Rechtsstreit mit
Nirvana für ungeahnte Folgen: Nach dem Selbstmord Kurt Cobains wurde zwar der
Frage nicht mehr gerichtlich nachgegangen, ob das Grundmotiv von „Come As You
Are“ tatsächlich von der Killing-Joke-Nummer „Eighties“ gestohlen wurde. (Die
Antwort, ganz ohne Kadi: Und wie!) Als bekennender Fan konnte Dave Grohl Jaz
Coleman allerdings überzeugen, die Band für ihr unbetiteltes Album aus 2003 am
Schlagzeug unterstützen zu dürfen. Der dabei entstandene Monolith aus brutaler
Härte und konzisem Songwriting gilt unter Feinspitzen als wahrscheinlich bestes
Werk der Bandgeschichte.
Heute
wieder in ihrer Urbesetzung aktiv, erstaunen Killing Joke auch nach fast dreieineinhalb
Jahrzehnten im Geschäft mit ihrer Weigerung, Altersmilde einziehen zu lassen.
Wenngleich man sich mit der Single „In Cythera“ auf alte Wave-Stärken besinnt
und „On All Hallow’s Eve“ als Rausschmeißer tendenziell nachdenklich anmutet, so
übersetzt Jaz Coleman seine Wut weitestgehend doch als musikalischen
Flächenbrand aus ewigem Feuer. „Rapture“ groovt mit Halleffekten aus dem
Hintergrund rhythmisch zum Finale an der Doublebass-Drum, während „Colony Collapse“
die Ohren mit übersteuerten Fuzzgitarren zum Glühen bringt und „Fema Camp“ archaisch
stampft und schnalzt. Das abgedreht-überzeichnete „Glitch“ lässt dann auch mit Colemans
gefährlich aus der Kehle gewürgtem „Gesang“ die Frage aufkommen, wie der Mann die
aktuelle Tour (und das Konzert in der Szene Wien am 25. April) überstehen soll.
Der
haarsträubende Schwachsinn, den Verschwörungstheoretiker hinter den besungenen
„Fema Camps“ vermuten, ist übrigens im Internet nachzulesen. Darüber den
Zeremonienmantel des Schweigens! Aufgrund der musikalischen Unterstützung mit
„MMXII“ gilt allerdings: Vorfreude, große Vorfreude auf den Weltuntergang – und
Entzücken darüber, dass die Glocken zum Jüngsten Gericht im Ohr nicht mehr
aufhören wollen zu klingeln!
Killing
Joke: MMXII (Spinefarm Records / Universal)
(Wiener Zeitung, 3.4.2012)

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