Freitag, April 13, 2012

Der Gospel des Gezeichneten

Jason Pierce kehrt mit seinem  Lebensprojekt Spiritualized zurück. Neues Album: "Sweet Heart Sweet Light"

Das Motto seiner Karriere sowie seine generelle Lebenseinstellung brachte Jason Pierce einst mit dem Titel einer Zusammenstellung auf den Punkt: „Taking drugs to make music to take drugs to“ erklärte das psychedelische Wesen seiner Band Spacemen 3 ebenso treffend wie Songs und Alben von „Losing Touch With My Mind“ über „Come Down Easy“ bis hin zu „The Perfect Prescription“. 

Während der heroinabhängige Brite bald als nächster Rock-’n’-Roll-Toter gehandelt wurde und Spacemen 3 nicht zuletzt nach internen Spannungen das Zeitliche segneten, ließ sich der heute 46-jährige aber nicht unterkriegen und brachte den verdrogten Gestus seines Tuns mit dem bis heute als Mastermind und einziges fixes Mitglied betriebenen Herzensprojekt Spiritualized auf eine neue Ebene. Zu krachenden Garagengitarren aus der Schule von Velvet Underground und überlebensgroßen  Walls Of Sound sollte es darum gehen, „weiße“ Rock-Spielarten mit „schwarzem“ Gospel aufzuladen. Der dabei zwischen Genie und Wahnsinn pendelnde Entwurf gipfelte 2001 im wunderbaren Album „Let It Come Down“, auf dem Pierce seine Befreiungstexte symphonisch befeuert und unter Mithilfe von 115 Musikern in den Himmel richtete.

Nach einer beinahe tödlich verlaufenen Lungenentzündung gilt der Musiker seit dem Jahr 2005 zwar erstmals als drogenfrei. Eine kurz vor den Aufnahmen zum nun vorliegenden, siebten Studiowerk „Sweet Heart Sweet Light“ diagnostizierte Leberkrankheit allerdings zwang den Sänger erneut zu schwerer Medikamentation. Mit den davon vor allem auf der Textebene geprägten Songs wollte Pierce aktuellen Interviews zufolge „etwas machen, das alles zusammenfasst, was ich am Rock ’n’ Roll liebe.“ 

Erlösungsgesänge 

Nach einem zarten Streicherintro geht es mit der neunminütigen Singleauskopplung „Hey Jane“ folgerichtig auf Basis klassischer Velvet-Underground-Gitarren in die Vollen. Während der Song im zweiten Teil mit einem Krautrockbeat und John-Cale-gleichem Bratschengeschwurbel in Richtung Gospel aufbricht, erinnern die ihr Grundmotiv maximal wiederholenden Stücke wie das von Free-Jazz-Bläsern befeuerte „I Am What I Am“ bald aber an ein anderes Motto aus alten Tagen: „Drei Akkorde sind gut, zwei Akkorde sind besser – ein Akkord ist das Beste!“

Die Ausschmückung der Leerstellen mag vormals monumentaler gewesen sein – aktuell wollte Pierce seine zeitgenössische Version eines „Pop-Albums“ einspielen –, und so ist es vor allem das klassische Songwriting dazwischen, das die Grandezza von einst aufblitzen lässt. Nach dem hübschen wie hübsch-soullastigen „Little Girl“ macht Pierce vor allem bei zwei Songs alles richtig. Der Country-Walzer „Too Late“ berührt als unbedingtes Bekenntnis zur Liebe im Wissen um die Verletzungen, die damit einhergehen, ebenso wie das in sich versunkene „Life Is A Problem“, das als letztes Gnadengesuch eines vom Leben Gezeichneten einmal mehr auf den Walzertakt baut: „Jesus please be my automobile / Won't get to heaven unless God's at the wheel / Send me your chauffeur, I will get in / Jesus please drive me away from my sin.“

Mit dem stilistischen Brückenschlag des Finalsongs vom todtraurigen Tränendrücker hin zu satten Britpopreferenzen und den Erlösungsgesängen eines Befreiungschors, fährt Pierce am Ende noch einmal schweres Geschütz auf. Und er verabschiedet sich standesgemäß mit großen letzten Worten. Sie lauten: „So long, you pretty thing!“    

Spiritualized: Sweet Heart Sweet Light (Domino Records / GoodToGo)

(Wiener Zeitung, 14./15.4.2012)

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