Der Walrossbart,
den Stuart A. Staples aktuell trägt, lässt nicht nur an Lee Hazlewood denken,
dessen Einfluss auf die Tindersticks kaum überschätzt werden kann. Vor allem legen
die solchermaßen betont nach unten zeigenden Mundwinkel bereits nahe, dass die
1991 in Nottingham gegründete Band schon immer auf eine gewisse Schwere
vertraut: Melancholie und Weltschmerz als Lebenseinstellung, festgemacht an
lichtscheuen Liedern über die Liebe, die so schön sind, dass es wehtut.
Ursprünglich
verankert in einem wie auch immer gearteten Alternative Rock mit Hang zu alten
Meistern, wie eben Lee Hazlewood und dem im Fach des dunkelgrauen Liedes als
Schutzheiligem auf immer und ewig verehrten Leonard Cohen, ging es bei den
Tindersticks mit elegischen Streicherarrangements bald auch klassisch zu.
Während Grunge sich das Leid an der Welt mit grobem Schmerzrock von der Seele
prügelte, sorgte Stuart A. Staples als Dandy im Dreiteiler mit seiner Kombo für
jenen ebenso zeitlosen wie strikt aus der Zeit gefallenen Sound, der
diesbezüglich anfällige Nachtschattengewächse bei bloß sanften Klangadaptionen eng
an die Band band.
Neues mit Saxofon
Nach
internen Spannungen, einer Quasi-Trennung und Staples Start in eine Solokarriere,
präsentieren sich die Tindersticks seit ihrer (neubesetzten) Wiederkehr mit dem
Album „The Hungry Saw“ im Jahr 2008 in einer Form, die mit der Reife eines gut
gelagerten Rotweins vergleichbar ist – so man nicht den legitimen „Vorwurf“ des
künstlerischen Stillstands auf allerhöchstem Niveau erhebt. Am ersten zweier restlos
ausverkaufter Abende im Theater Akzent erlebte eine mit der heute zu sechst
aktiven Band gut gealterte Abendgesellschaft als neuesten Streich also eine äußerst dezente
Frischzellenkur mit eingestreuten Bossa-Nova- und Cha-Cha-Beats. Vor allem aber
ein für flächige Klänge aus dem Hintergrund sorgendes Basssaxofon, das sich nur
bei ein, zwei Songs in jene leicht schwülstige Kunst verirrte, die man auch von
den späten Roxy Music in ihrer „Avalon“-Phase her kennt, schob den Sound des
aktuellen Albums „The Something Rain“ auch live in den Vordergrund.
Entdeckter
Groove
Das
daraus gebotene Material spannte den Bogen vom konzisen Songwriting des mit
Ennio-Morricone-Gitarre auffahrenden „Show Me Everything“, das Staples,
flehend, mit seinem zitternden Bariton in den Hallraum entließ, über die
musikalisch umrahmte Kurzgeschichte „Chocolate“ hin zu atmosphärischen Studien
wie dem mit viel Echo veredelten „Frozen“, mit dem die Band letztlich den
Groove für sich entdeckte.
Staples,
der seine nebelschwadrige Kunst auch mimisch untermauerte, wechselte Tamburin,
akustische und elektrische Gitarre, während zarte Orgelklänge und Fender Rhodes
für wohlige Wärme sorgten. „This Fire Of Autumn“ erwies sich zumindest in den
Strophen als Post-Punk im Sinne von Joy Division, gespielt mit den Mitteln
einer Barhockerband, ehe „I Know That Loving“ aus 1999 mit weißem Erlösungssoul
zumindest musikalisch erklärte, dass irgendwie, irgendwo und irgendwann
vielleicht doch alles gut werden könnte. Chapeau!
(Wiener Zeitung, 9.5.2012)

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