Freitag, Mai 04, 2012

Pop mit Marschtrommel

Die 35-jährige US-Musikerin Santi White alias Santigold und ihr zweites Album: Globale Klänge zwischen gestern und heute

Vorstellig und gleich auch einem größeren internationalen Publikum bekannt wurde die aus Philadelphia gebürtige Sängerin, Rapperin und Songschreiberin Santi White vor vier Jahren mit ihrem Debütalbum „Santogold“ im Zeichen jener Musik, mit der die britisch-tamilische Kampfrapperin M.I.A. ihren Siegeszug durch den globalen Krisenherd Disco kurz zuvor eingeläutet hatte: Störgeräusche und Clubsounds zur Zeit, tribalistisches Gepolter und elektronische Beats, festgemacht an zappeligen und zornigen „Schmelztiegel“-Tracks, standen zwar auch hier auf der Agenda. Ohne den Radical Chic von M.I.A., dafür mit einem Hang zum Überwältigungsmoment des Popsongs, ging es mit Einflüssen aus Dub, Reggae und New Wave vor allem aber hin zu jener allgemeinen Verträglichkeit, die eine Weltkarriere am Ende ermöglicht. Aus Gründen der Ehrenrettung kann man sich später noch immer erleichtert darüber zeigen, seine Botschaft nun endlich auch der breiten Masse näherbringen zu dürfen.

Das große Miteinander

Dabei scheint es sich bei der nach einem Copyright-Streit heute als Santigold aktiven Musikerin um jene starke, maximale Selbstbestimmung einfordernde Frau in einem männerdominierten Gewerbe zu handeln, als die die Industrie aus Imagegründen jeden Klangkörper bezeichnet, der nicht eindeutig auf je ein X- und ein Y-Chromosom verweisen kann. Bereits früh organisatorisch im Musikgeschäft tätig, erwarb sich White rasch jenes Know-how, das ihr als selbstdeklarierter Geschäftsfrau heute zugutekommt. Als Widerspruch unaufgelöst bleibt allerdings, warum sich die bisweilen Gift und Galle gegen den Mainstream spuckende Musikerin mit Songbeigaben auch in den Dienst von Christina Aguilera oder Ashlee Simpson stellen musste.

Ihr nun erscheinendes zweites Album „Master Of My Make-Believe“ jedenfalls bringt die alte Erfolgsformel aufgefrischt in beste Erinnerung: Unter Produktion großer Namen wie Q-Tip, Switch, Diplo und unter Beteiligung von Karen O und Nick Zinner (Yeah Yeah Yeahs) hören wir globalen Hypridpop mit Vorliebe für kämpferisch geschlagene Marschtrommeln. Dass die Texte kaum je zur Kriegserklärung geraten und Santigold zu den zahmen Klängen von „The Riot’s Gone“ gar zu kapitulieren scheint, verwundert angesichts aktueller Problemfelder dann aber doch ein wenig.

Musikalisch stehen die mannigfaltigen Einflüsse nicht länger getrennt nebeneinander – „Fame“ etwa lässt mit seinem zornigen Intro vermuten, dass in bester M.I.A.-Manier gleich die Kampfhubschrauber um die Ecke biegen und mächtiger Kugelhagel durch das Wohnzimmer schallt, ehe sich der Song mit Analog-Synthesizern aus den guten, alten 80er-Jahren für die Melodie aufmacht. Wir hören ein Popalbum mit „modernistischem“ Zierrat  und sanften Rückschauen, das Gothic-Harmonien („God From The Machine“) mit afrikanischen Gesängen ebenso kurzschließt wie Hip-Hop mit den Karnevalstrommeln aus Rio („Big Mouth“). „Freak Like Me“ bittet zum Tanz durch die Dancehall, während „Pirate In The Water“ eingeraucht zum gut abgefederten Synthiebass groovt und „Disparate Youth“ auf keinem Radiokanal unangenehm auffallen sollte.

Sagen wir es so: Unwiderstehlicher hat das Ausbleiben der Revolution noch selten geklungen. 

Santigold: Master Of My Make-Believe (Warner)

(Wiener Zeitung, 5.5.2012)

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