Die Ökonomie der
Aufmerksamkeit und andere Gesetzmäßigkeiten eines alten Marktschreiers namens Pop
waren Sigur Rós schon immer egal. Immerhin lehnte die Band 2001 und somit erst
kurz, nachdem sie erstmals international wahrgenommen wurde, einen reichweitenstarken
TV-Auftritt bei David Letterman ab – die drei Minuten Spielzeit, die den
Isländern eingeräumt wurden, waren nicht genug für ihren Zerdehnungspop. Eine
Karriere, so konsequent wie radikal im Dienst der eigenen künstlerischen
Utopie, war die Folge. Dass die Band nach zuletzt allgemeinverträglicheren
Ansätzen in überraschender Song-Nähe auf ihrem nun erscheinenden, sechsten
Album „Valtari“ den Massenmarkt mit sanften Ambientsounds stoischer denn je
umschifft, kann nur als folgerichtig bezeichnet werden.
1994
in Reykjavík gegründet, definiert die Band um Sänger Jón Þór Birgisson
ihren epischen Sound schon immer zwischen atmosphärischem Ambientklang und der
Dynamik des Post-Rock. Während sich Sigur Rós bisweilen als stillste Slow-Motion-Kombo der Welt präsentieren,
sorgen heftige Crescendi in orchestraler Umrahmung nicht selten für jenes
reinigende Donnerwetter, das die Neigung dieser Musik zum Hochemotionalen mit
Nachdruck untermauert. Pathos, Kitsch und Ansätze von naturnaher Esoterik
sind dabei zwar auch keine Fremdwörter. Kaum je plakativ zur Schau gestellt,
bleibt die Kunst von Sigur Rós als unbedingte Herzmusik davon aber unbeschadet
– und ist dabei so steinerweichend schön, dass es wehtut. Die enigmatische Aura
der Band, festgemacht an bevorzugt auf Isländisch oder in der eigenen
Fantasiesprache „Vonlenska“ betexteten Songs, erweist sich im Zeitalter der
kollektiven Enträtselung als zusätzlicher Segen. Wenn schon alles gesagt wurde,
nur noch nicht von allen, darf zumindest noch die Imagination ihre
Deutungshoheit bewahren.
Gefühlige Stoßseufzer
Nachdem
Sigur Rós auf ihrem bisher letzten Album, dem 2008 erschienenen „Með suð í
eyrum við spilum endalaust“ näher denn je in positiv eingefärbte Song-Gefilde
vorgedrungen waren und ein Soloalbum Birgissons die Popambitionen
bestätigte, könnten sich solchermaßen neu gewonnene Hörer mit dem heute,
Freitag, erscheinenden „Valtari“ eventuell aber schwertun: Seinem ins Deutsche
als „Dampfwalze“ übersetzen Titel zum Trotz kehrt die Band zu ihren Anfängen im
zurückgenommenen Ambient-Fach zurück. In den Himmel gerichtete Stoßseufzer,
Chorknaben-Diskant und die isländische Version des Gailtaler Gesangsvereins („Dauðalogn“)
stehen neben vor Gefühl zitternd im Vibrato aufspielenden Streichern, wie
gewohnt mit dem Cellobogen gestrichenen E-Gitarren und Klaviermotiven, die wie
Schneeflocken vom Eyjafjallajökull auf die Erde herniederrieseln. Abgesehen vom
bald polternden „Varúð“ erweisen sich die acht neuen, weitgehend schlagzeugfrei
und teils instrumental gehaltenen Stücke diesmal als auch für Sigur Rós brutal
in der Sanftheit.
Eine
gewisse Orientierungslosigkeit ist dem Album in Ansätzen dennoch nicht
abzusprechen – dass das Titelstück seine wenigen Ideen womöglich zu oft
wiederholt und „Rembihnútur“ unentschlossen abhebt, um bald zur Bruchlandung
anzusetzen, darf auf Probleme im Entstehungsprozess zurückgeführt werden. Ein
2010 angeblich verworfenes Album, das für „Valtari“ nun teils doch wieder
herhalten musste, und der Rückgriff auf gut und gerne sieben Jahre alte Demos
künden ebenso davon wie aktuelle Interview-Statements.
An
der erhabenen Schönheit dieser Musik ändert das aber wenig – und man muss sich
dieses die Ruhe nach dem Sturm verkörpernde Album ja auch nicht zum Aufstehen
anhören. Live und Open-Air am 4. September in der Wiener Arena.
Sigur Rós:
Valtari (EMI)
(Wiener Zeitung, 25.5.2012)

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