Bezüglich der Einstürzenden Neubauten und deren gefinkelt als Konzerte getarnten Löt-, Schweiß- und Bohrfestspielen war in den 80er Jahren zunächst vor allem eines angebracht: Vorsicht! Wenn die Band daran ging, programmatische Titel wie "Hören mit Schmerzen", "Abfackeln!" oder "Kollaps" live ihrer Aussage entsprechend umzusetzen, war nämlich nicht nur der Tinnitus bloß einen Gehörsturz weit entfernt: Fiiiiiiiiiiep!
Dank dabei auch zum Einsatz gekommener Instrumente wie Kompressoren, Vorschlag- und Presslufthämmern, Schweißgeräten sowie jeder Menge Alteisens und eingedenk auf der Bühne gelegter Feuerstellen durfte auch dem Restkörper Angst und Bange werden. Wie Band-Vorstand Blixa Bargeld es gegenüber der "Welt" einmal formulierte: "Jede Narbe erinnert an ein Konzert".
Zwecks Street-Credibility dieses auf Anarchie und Dekonstruktion gebauten Œuvres schrieb Bargeld seine Texte im amphetaminbedingten Schlafentzugsdelirium und stellte die Koketterie mit dem Zerfall also auch am eigenen Körper zur Schau. Abfuckeln, oder: "Collapsing New People", wie es der verdiente Elektropop-Grenzwandler Frank Tovey alias Fad Gadget in seinem gleichnamigen Hit schön auf den Punkt brachte.
Über die Jahre brachte die Band Struktur in ihre Lärmgebilde, ehe sie sich spätestens mit "Ende Neu" aus 1996 auch für den klassischen Song öffnete. Das brachte zwar den Ausstieg des stilprägenden Schlagwerkers FM Einheit mit sich, der den Neubauten vorwarf, nicht mehr einzustürzen – Sakradi!
Damit waren aber auch die Weichen für das auf ruhigere Töne setzende Spätwerk der Band gestellt, das 2000 mit "Silence Is Sexy" begann, über "Perpetuum Mobile" aus 2004 zum im Vorjahr erschienenen "Alles Wieder Offen" führte und am Montagabend im Grazer Orpheum dann auch alleine kredenzt wird – also unter Aussparung alles davor Produziertem, weil: Es geht voran. Es muss!
Auf einer vom Eigenbauschlagwerk zwischen Metallstäben und Plastikrohren, Aluminiumspiralen und Wellblech dominierten Bühne hören wir eingangs mit "Die Wellen" ein auf ein Dauercrescendo basierendes Musikpoem, zu dem Bargeld – bereits mit 49 Jahren ein Verfechter der zum Bauchnabel hochgezogenen Anzughose! – sich als Dichtersmann gebärdet.
Das darf er auch, immerhin hat er aus Werbegründen schon einmal aus dem Produktkatalog eines Baumarktes gelesen! Später wird er im hübsch rumpelnden "Let’s Do It À Dada" den Dadaisten huldigen und uns alle über die wahre Bedeutung des Wortes "Dada" aufklären. Ja, danke auch!
Seine ruhigsten – und vielleicht schönsten – Momente findet der Abend in "Sabrina", das sich mit zartem Trommelgetupfe, Alexander Hackes markanter Bassspur und den wie Honig runtergehenden, von Jochen Arbeits E-Gitarre gesponnenen Melodiebögen begnügt, "Nagorny Karabach" sowie dem ganz am Ende noch äußerst konzentriert vorgetragenen "Youme & Meyou".
Für viel Druck sorgen vorwärts stampfende Songs wie "Dead Friends (Around The Corner)", "Weil Weil Weil", "Die Befindlichkeit des Landes" oder das vergnügliche "Selbstportrait mit Kater", bei denen dann auch Rudi Moser am Schlagzeug und NU Unruh am Blech voll zulangen dürfen. Dazu stößt Bargeld sein markdurchdringendes Kreischen aus und legt uns allen noch einmal dar, wie Nick Cave das einst bezeichnete: Als den Klang einer Katze, die gerade stranguliert wird.
Die Gefahr bleibt heute aus, aber spannend bleibt es trotzdem! Ein feiner, ein würdiger Abend zwischen Laut und Luise, zwischen Dichtung und Wahrheit, Eleganz und Nonchalance.
(Wiener Zeitung, 16.4.2008)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen