Freitag, April 04, 2008

Weniger ist wieder mehr

Großer Rock’n’Roll, auf das Wesentliche reduziert: The Kills kommen nach Wien.

Wien. Alison "VV" Mosshart und Jamie "Hotel" Hince sind The Kills. Mit ihrem 2003 erschienenen, programmatisch "Keep On Your Mean Side" betitelten Debütalbum und dem darauf gebotenen, forsch polternden Rumpelsound mit heftigen Blues-Anleihen, machte die britisch-amerikanische Formation nicht nur den New Yorker Krawallhelden Yeah Yeah Yeahs schwer Konkurrenz. Sie sorgte auch dafür, dass sich das bis dahin hippste und beliebteste Mann-Frau-Duo von überhaupt, The White Stripes, warm anziehen musste.

Ästhetisch sorgt dieser Zweispänner unter besonderer Berücksichtigung eines auf Reduktion bedachten Minimalismus dafür, dass der sonst erst beim Komparativ ansetzende und selbst Superlative noch zu überhöhen wissende Rock ’n’ Roll wieder erfährt, dass weniger sehr wohl mehr sein kann. Das mag zwar in der zur Wirtschaftlichkeit zwingenden Bandbesetzung begründet liegen; freilich ist diese Beschränkung auf das Wesentliche aber auch stilgebendes Konzept, das seine Inspiration aus der Schule des Blues und dessen Tendenz zur Aussparung speist.

Nach einem ersten, wohlverdienten Hit mit "Fried My Little Brains" (Stampfrock mit Kuhglocke!) läutete die Band auf ihrem Zweitling, "No Wow" aus 2005, und der daraus augekoppelten Single "The Good Ones" ein, was auf dem unlängst veröffentlichten und am Samstag live im Wiener Flex vorzustellenden Meisterwerk "Midnight Boom" zur Perfektion gebracht wird: An Lässigkeit nicht zu überbietende Songs, die sich bisweilen der Verfahrensweisen elektronischer Clubmusik bedienen, ohne sich vom Rock zu entfernen; Songs, die unmittelbar und nachhaltig ins Ohr gehen, ohne mit der Brechstange ins Haus zu fallen.

Hedonistischer Geist auf den Punkt gebracht

Zwölf ausproduzierte, aber dennoch schön schludrig gehaltene Songs werden in knapp 34 Minuten abgeholzt, bisweilen sind sie sogar mit ursprünglich für die Entwicklung von Home-Demos vorgesehenen Drum-Sequencern eingespielt. Der Chartbreaker "U.R.A. Fever" bringt den derben Geist hedonistisch zugebrachter Ausgeh-Nächte gar binnen nur zwei Minuten und sechzehn Sekunden auf den Punkt. Er ist auf eine elektronisch verfremdete, sich in die Magengrube wuchtende Bassspur und bewusst billig anmutendes Handclapping gebaut.

Dazu passt die Optik des abgefuckt aufgebrezelten Duos: Zerzaust, verlebt, kaputt. O.K? K.O! Oder wie es auf "Cheap And Cheerful" so schön heißt: "I want you to be crazy/ ’Cause you’re stupid baby when you’re sane". Ein Pfichttermin!

(Wiener Zeitung, 5./6./7.4.2008)

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