Montag, Mai 26, 2008

Krach macht jung

Vom Abstieg in die Bürgerlichkeit zu sprechen wäre überzogen. Angesichts der radikalen Anfänge des australischen Musikers Nick Cave, die sich mithilfe von Punk, Heroin und jeder Menge schlechter Laune in nicht selten aus Blues-Motiven geschlagenem Endzeit-Rock’n’Roll einer verstörenden Härte verpflichteten, musste Ähnliches um 2001 aber zumindest in den Raum gestellt werden.

Cave, der sich zu diesem Zeitpunkt mit tollen Arbeiten wie "The Boatman’s Call" oder "No More Shall We Part" als Großmeister zärtlicher Liebesballaden erwiesen hatte und in Interviews angab, täglich um neun Uhr morgens ins Büro zu gehen, um dort in frisch dampfgebügelten Anzügen beamtisch an die Produktion von Kunst zu schreiten, schien nicht mehr zornig. Das Gegenteil bewies er 2007 mit dem störrischen Projekt Grinderman, wovon mit "Dig, Lazarus, Dig!!!" auch das 14. und am Sonntag in Wien vorgestellte Album des 50-Jährigen profitierte. Und wie!

Daraus hören wir zu Beginn eine dringliche Version von "Night Of The Lotus Eaters", die darauf schließen lässt, dass es heute rocken könnte. Das bestätigt der mit faul geschrammelten Akkorden vorwärts stampfende Titelsong ein wenig, der alte und jetzt ordentlich scheppernde Hadern "Tupelo" dann auch zur Gänze. Die begleitenden Bad Seeds spielen schön schlampig. Und der Chef, diesmal auch selbst an der Gitarre, singt so konsequent am richtigen Ton vorbei, dass wir ihn – Schnauzbart hin, Schnauzbart her – am liebsten schon jetzt abbusseln möchten.

Was es früher übrigens nicht gegeben hätte: Ein Publikum, das zu diesem zwischen Apokalypse und Erlösungsmythos pendelnden Quasi-Exorzismus mitklatscht. Und einen Nick Cave, der dazu ein Hemd trägt, das selbst Flavio Briatore peinlich wäre.

Keine Altersmilde

Gut zwei Stunden lang unterhält uns der Australier mit Liedern aus den Themenbereichen Liebe, Sex und Hurerei, Mordskerle und Todesstrafe, Altes Testament, Neues Testament. Jesus Christus! Cave lässt seit Jahren auf dem Programm Stehendes wie "Red Right Hand" oder "The Mercy Seat" in Routine erstarren, gibt eine uninspirierte Version von "Into My Arms", motiviert zu Massenkaraoke.

Bei selten Gehörtem wie dem uns alle tanzen machenden "Papa Won’t Leave You, Henry" oder neuem Material wie "We Call Upon The Author" läuft diese Zentralfigur der Popkultur aber zu fulminanter Stärke auf – auch, indem sie auf den Achsen Sturm und Drang und Rotz and Roll Unvernunft statt Altersmilde walten lässt: Halleluja!

(Wiener Zeitung, 27.5.2008)

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