Donnerstag, Juni 05, 2008

Die Grenzen sind fließend

Das Londoner Kollektiv Hot Chip triumphierte bei seinem schweißtreibenden Österreich-Debüt im Wiener WUK

Wien. Die elektronische Musik kommt vor allem dann ganz schnell in die Bredouille, wenn es darum geht, sie auch live adäquat umzusetzen. Nicht selten erweist sich, was im Studio den mit Drehknöpfen bestückten Zauberkisten wohlklingend entlockt wurde, als auf der Bühne nicht reproduzierbar. Daraus resultieren über weite Strecken vorprogrammierte Konzerte, zu denen nur homöopathische Dosen an unmittelbar Dargebotenem – ein Fiepsen hier, ein Knarzen dort – kredenzt werden.

In Zeiten, die – frei nach einem alten Dancefloor-Schlager – den DJ in den Rang eines Gottes erheben, mag das freilich schon lange nicht mehr verwundern. Dass es aber auch anders geht, beweist das spätestens seit seinem Zweitling „The Warning“ aus 2006 hoch im Kurs stehende Londoner Quintett Hot Chip um dessen wunderwuzzistische Masterminds Alexis Taylor und Joe Goddard. Am Mittwochabend darf man nun auch in Wien einem, letztendlich zu einer Weihestunde des zeitgenössischen Pop angewachsenen Konzert beiwohnen: Euphorisiert vom beseelten Klang der Maschinen, schweißgebadet vom freudigen Veitstanz.

Nicht genug damit, dass die Band, die sich heute vor allem durch ihr aktuelles Album „Made In The Dark“ spielen wird, einem ganzen Gerätepark schwer schnaubender Analog-Synthesizer von seinerzeit tatsächlich live alles abverlangt, was dieser zwischen hochästhetischer Unterhaltungselektronik und oft an, aber eben nie auf die Nerven gehenden Frickeleien hergibt. In bester Tradition eines Bob Dylan werden die eigenen Lieder dabei zunächst auch einmal ordentlich auseinander genommen, um – in ungewohnte Bahnen gelenkt – in neuem Glanz zu erstrahlen. Gleich mehrmals müssen wir heute zumindest für je ein paar Sekunden angestrengt nachdenken, in welchem Song wir uns denn nun gerade befinden.

Unterwanderte Konventionen

Dabei wird jedwede Konvention des klassischen Popkonzertes elegant unterwandert. Gleich einem DJ-Set gilt es schon eingangs, „Shake A Fist“ und „And I Was A Boy From School“ ineinander zu weben: Von den copacabanischen Bongorhythmen bis hin zum selbst seiner Melancholie zum Trotz immer noch tanzbaren Pop ist es also immer nur einen eingeschobenen, vorwärts peitschenden Techno-Beat weit: Die Grenzen sind fließend, wie auch später beim Übergang von „Touch Too Much“ zu „Over And Over“, dem ersten großen Hit des Abends.

Ganz generell scheint das Œuvre dieser Truppe um Auflösung einengender Grenzen bemüht: Durchaus mit herkömmlichen Songstrukturen brechender und trotzdem handfester Pop bedient sich dabei mannigfaltiger Einflüsse aus dem Fundus zeitgenössischer und retroschicker Elektronik zwischen Techno – minimal oder wirklich! – House oder Synthie-Pop. Dazu setzt es nicht zuletzt Al Doyles Gitarre wegen reichlich Funk, auch Soul wird eingestreut; die Beats wissen um zeitgenössische HipHop- und RnB-Produktionen.

Dass Goddard und Taylor als Kenner der Popgeschichte ebendiese als frei zitierbares Referenzsystem verstehen - es stört nicht. Immerhin schlagen sie daraus Neues, Ungehörtes, Unerhörtes. Und sie vermengen live Fremdes mit Eigenem, indem sie Textzeilen aus New Orders „Temptation“ in ihr mit wunderbaren, möglicherweise von Gary Newman inspirierten Synthie-Streichern veredeltes „No Fit State“ montieren oder das abschließende „In The Privacy Of Our Love“ mit „Nothing Compares To U“ von Prince & The Revolution querlegen.

Das heute als Elektro-Monstrum dargebotene „Bendable Poseable“, „Don’t Dance“„ Out At The Pictures“ und Singles wie „Ready For The Floor“ oder „One Pure Thought“: Das alles ist nicht nur sexy und intelligent zugleich, sondern auch stilistisch allein auf weiter Flur. Ein außergewöhnlicher wie außergewöhnlich euphorisierender Abend. Ich rocke!

(Wiener Zeitung/Online, 6.6.2008)

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