Die Hitze ist schuld daran, dass man sich am Sonntagabend dann doch kurz hinaus ins Freie wünscht. Während im Hof des Wiener WUK, im sogenannten EM-Quartier, nämlich bei reichlich Frischluft dem Fußball gefrönt wird, darf man sich selbst in der zur Massensauna umfunktionierten Halle nebenan bei – mindestens – tropischen Temperaturen bis an die Grenze zum Kreislaufkollaps schwitzen. Aber: Ehrensache! Immerhin steht heute ja nicht ein Irgendjemand auf der Bühne.
Lebensberaterqualitäten
Wir haben es mit dem 37-jährigen, zentralen US-Songwriter Will Oldham zu tun, der uns seit 1998 als Bonnie "Prince" Billy auf Basis hochgradig gefühliger Lieder mit Country- und Folk-Einflüssen sein Herz ausschüttet. Als mit Lebensberatungspotenzial ausgestatteter Großmeister zärtlicher Liebesballaden, wehmütiger Abschiedsballaden und todtrauriger Depressionsballaden hilft dieser nun auch live dem bevorzugt ins Bier raunzenden, gebrochenen Altmann in uns aus der Patsche. Am Programm steht heute nämlich jener Werkteil, aus dem die Hoffnung atmet. Hoffnung wie: "And I looked at the sky / And knew someday I’d die / And then everything would be all right!"
Überhaupt erweist sich der nicht nur seines wildwuchernden Vollbarts wegen gemeinhin als schrullig verschrieene Songwriter dank eingeschobener Zwischenreden als äußerst sympathischer, ja, zugänglicher Schmähbruder, der uns also nicht nur mit zu Herzen gehenden Liedern, sondern auch mit launigen Anekdoten ein Tränchen ins Auge treibt. Und er liefert mit seiner vierköpfigen Begleitband ein gut zweistündiges Set, das sich trotz weitestgehender Fokussierung auf den unteren bis mittleren Tempobereich durchaus erfrischend anlässt.
Neben Material aus seinem aktuellen Album "Lie Down In The Light" bedankt Oldham vor allem das–für seine Verhältnisse– unüblich opulent arrangierte Album "The Letting Go" aus 2006 mit Übersongs wie "Cursed Sleep" oder "Strange Form Of Life", sowie "No Bad News", "Lay And Love" oder einer reduzierten Version von "Then The Letting Go". Gegen Ende interpretiert er das heftig bejubelte "I See A Darkness" bewusst in weiter Ferne zur Coverversion des großen Johnny Cash, die den Song im Jahr 2000 endgültig zum Klassiker adelte.
Oldham greift zu elektrischer Gitarre und Mundharmonika, er singt, er pfeift, er gestikuliert, hat sichtlich Freude mit diesem Konzert. Wie auch das Publikum, das nach zwei Zugabenblöcken noch immer nicht genug hat und Oldham, der dem Abend mit der Erlösungshymne "I’ll Be Glad" ein versöhnliches Ende zuführen wollte, noch einmal auf die Bühne lockt. "Death to everyone is gonna come". Auch das: ein würdiger Abschluss für einen tollen Abend.
(Wiener Zeitung, 24.6.2008)
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