Dem Dylanologen ist es zu Eigen, jeden Song von "His Bobness" schon nach dem ersten Ton – und sei dieser auch nur ein müdes Krächzen – mit freudigem Johlen oder begeistertem Applaus zu versehen. Er, in der Regel männlich, Biertrinker, bereits im Verdauungsstadium seiner Midlife-Crisis angelangt, will damit zur Schau stellen, dass er jeden der knapp 500 Songs aus der Feder von Bob Dylan auch dann noch erkennt, wenn Nämlicher sein Werk live wieder einmal bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Dieses Johlen und Klatschen mag zwar auch dem 67-jährigen Säulenheiligen des Rock’n’Roll gelten, zumindest irgendwie. In erster Linie huldigt der Dylanologe aber vor allem einem: dem Dylanologen selbst! Er ist ein super Bursch.
Dass ähnliche Jubeltöne ausbleiben, als Bob Dylan sein erstes Österreichkonzert seit 2003 am Dienstag in Wien mit "Cat’s in The Well" eröffnet, bestätigt als Ausnahme nur die Regel. Haben diesen, auf Dylans kreativ problematische Frühneunziger-Phase zurückdatierenden Hadern doch auch eingefleischte Fans bereits verdrängt.
Immerhin: Dylan, am Keyboard und seitlich zu uns gewandt, legt hier mithilfe seiner fünfköpfigen Tourband kurz dar, was heute am Programm steht: Gesetzter oder wahlweise etwas feister gegebener Altherrenrock, der sich "Modern Times", dem aktuellen Album, entsprechend aus dem Fundus der amerikanischen Musikgeschichte zwischen Blues, Folk, Country, Rock’n’Roll und Bob Dylan speist.
Dazu lädt die Bestuhlung der Stadthalle zu geriatrischer Kontemplation; erst als nach gut zwei Drittel des Abends "Highway 61 Revisited" erklingt, wird das Publikum auf seine alten Tage noch einmal renitent, erhebt sich – und schwingt das Tanzbein.
Sorgsam kümmert sich Dylan um die Darbietung des aktuellen Materials. Wir hören konzentrierte Versionen von "The Levee’s Gonna Break", "Nettie Moore" oder des knapp neunminütigen "Ain’t Talkin’". Ebenso wie "Working Man’s Blues", dem neuesten Stück im Kanon Dylans sozialkritischer Lieder, wird live auch der bitterbösen Anti-Kriegshymne "Masters Of War" oder "It’s Alright Ma’ (I’m Only Bleeding)" ein neues Kostüm verpasst. Nach einem kurzen "Dankeschon" gibt es noch "Thunder On The Mountain" und "All Along The Watchtower" als Zugaben. Um halb zehn geht’s ab ins Bett. Auch alte Götter werden nicht jünger.
(Wiener Zeitung, 12.6.2008)
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