- Das Frequency-Festival brachte Radiohead erstmals nach Österreich
Was man am FM4-Frequency-Festival heuer gelernt hat? Erstens: Es gibt tatsächlich Gruppierungen junger Menschen, die sich für ein Radiohead-Konzert mit dem Grölen der oberösterreichischen Landeshymne einstimmen. "Hoamatland, han di so gern!" Franz Stelzhamer, Prost! Zweitens: Treffen im Shuttlebus deutsche und österreichische Festivalbesucher aufeinander, muss es zwangsläufig zu (historischen) Schuldzuweisungen kommen. Es fallen Namen wie Hitler und Tokio Hotel. Auch Cordoba steht auf der Agenda.
Drittens: Bringt das FM4-Frequency Festival, das mit Bands wie Editors, The Prodigy oder Mando Diao überwiegend auf Publikumslieblinge setzt, derer man in den letzten Jahren öfter ansichtig wurde als Teilen der eigenen Verwandtschaft – Hallo, Mama! –, noch nie oder lange nicht mehr in Österreich vorstellig gewordene Ausnahmekünstler wie Radiohead oder Grace Jones auf die Bühne, muss irgendwo der Hund begraben sein. Und tatsächlich werden diese beiden unbedingten Gründe für einen Besuch am Freitag gleichzeitig auftreten. Au weia!
Man sucht die Veranstaltung an diesem vom Line-up her zwingendsten Spieltag dennoch auf und stolpert über ein Gelände, das zwar im besten Fall den Charme eines kasachischen Militärflughafens besitzt, seine Rolle aber funktional erfüllt. Wir haben es mit dem erweiterten Umfeld des VAZ St. Pölten zu tun, auf das das Festival nach sieben Saisonen am Salzburgring heuer übersiedelte.
Vor hitzebedingt noch schütterer Publikumskulisse tritt hier der US-amerikanische Politaktivist Jello Biafra auf; gereicht wird überzeugend vorgetragener Punk der alten Schule mit linkspolitischem Mehrwert. Jarvis Cocker gefällt später zwar als sympathische Bühnenfigur. Dass er mit jüngst dem Rockismus anheim gefallenen Songs ("Angela", "Homewrecker") nicht an die Grandezza seiner Ex-Band Pulp herankommt, kann der Auftritt aber nicht verschleiern. Es entschädigt in Tradition von Barry White stehender Disco-Soul ("You're In My Eyes") sowie die auch nicht unbeseelte Ballade "I Never Said I Was Deep". Hier übertaucht unser Held eine auch dem Kreativschaffen übergestülpte Mitlebenskrise mit dem Schalk im Nacken. Stichwort: Garstiger Altherrenhumor zum Themenkomplex Beischlaf mit benötigt werden wollenden Busenkumpeln.
Über ein schnell wieder vergessenes Konzert des mit Dance-Pop für die Saison aufwartenden Youtube-Stars Little Boots und mit einem druckvollen Set von Bloc Party, deren Indie-Rock mit New-Wave-Breitseiten zuletzt zu einer experimentelleren Formensprache fand, steuert der Abend auf seinen Höhepunkt zu. Die Erwartungen an das Österreich-Debüt von Radiohead sind groß, und sie werden nicht etwa nur erfüllt. Das ist auch deshalb kein leichtes Unterfangen, weil die Band mit als schwierig empfundener Musik als Fremdkörper im Line-up gilt und solchermaßen nicht das Gros der Festivalbesucher hinter sich hat. Wir hören Lieder, die sich – oft in Abwesenheit herkömmlicher Songstrukturen – zwischen Angst, Agonie und Begräbnisstimmung bewegen.
Zur Erinnerung: Nach Anfängen im Alternative Rock mit einem im Weiteren ausgeklammerten Welthit ("Creep") und über die um Elektronik erweiterte Arbeit "OK Computer" definierten sich Radiohead mit "Kid A" pünktlich zum Millenium grundlegend neu. Die Gitarren wurden zugunsten von Laptop-Gefrickel hintangestellt, Radiohead drängten in die Avantgarde. Nachfolgewerke wie "Hail To The Thief" oder das aktuelle und heute fast zur Gänze gegebene "In Rainbows" zementierten Radioheads Ruf, eine beste Band der Welt zu sein. Die ist State of the Art und spielt als unangefochtene Tabellenführerin längst in ihrer eigenen Liga.
Live erleben wir ein mit stilvoller Lichtshow und Videozuspielungen umrahmtes Konzert als über weite Strecken nichts weniger als atemberaubendes Gesamtkunstwerk. Immer wieder heult Thom Yorke als traurigster Wolf unter Wölfen den Mond so innig an, dass es dem Publikum in schwärmerischem Stellvertretungs-Weltschmerz zwangsläufig das Herz zerreißt: "Street Spirit", "Pyramid Song". Es geht auch darum, es sich in verwüsteten Seelenlandschaften unbequem einzurichten. "Don't get any big ideas/ they ain't gonna happen" heißt es hier, oder: "We are all accidents/ waiting to happen".
Wie weit sich die Band von ihren Anfängen entfernt hat, erklärt eine Gegenüberstellung der frühen Ballade "Nice Dream" und der mantrisch blubbernden Minimalelektronik von "The Gloaming", die um bekifft-paranoiden TripHop Bescheid weiß und zur Geisterstunde in transsylvanische Schlosskerker bittet. Die Progrock-Gitarre wird zu "Paranoid Android" geschwungen, ehe mit "Idioteque" schließlich der unvorstellbarste Elektro-Beat erklingt, der je ins Werk einer Rockband einfloss. In "Karma Police", einem Hit aus Zeiten, in denen Radiohead noch Hits schrieben, findet der Abend das wahrscheinlich größte Zugeständnis an das Publikum, das mit den wabernden Soundschlieren von "Everything In Its Right Place" in die pechschwarze Nacht entlassen wird. Ein unfassbares, ein ungreifbares, ein wunderbares Ereignis.
(Wiener Zeitung)
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2 Kommentare:
andreas! mich frißt der neid...!! kaum ist man mal ausser landes, kommt die beste band der welt nach hause. :) aber coldplay in dublin waren auch zum trenzen genial! :) ein fanatisches "viva la vida" nach wien! :) margit
in dublin waren radiohead zuletzt im juni 08 - sei's drum, die rennen dir schon nicht davon :-) liebe grüße, a.
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