Zwei Jahre nach dem Ende seiner Band Blumfeld veröffentlicht Jochen Distelmeyer sein Solodebüt "Heavy".
Das erste Lebenszeichen von Jochen Distelmeyer als Solokünstler muss man als Statement in zweierlei Hinsicht verstehen: Zum einen verkündete der ehemalige Sänger und Chefideologe der vor zwei Jahren aufgelösten Hamburger Diskursrockband Blumfeld mit dem im Juli auf seiner Webpräsenz veröffentlichten Song "Wohin mit dem Hass?" unmissverständlich die Rückkehr zum Rock’n’Roll. Nach programmatischem Feedback-Rauschen setzt die Gitarre hörbar wütend ein, ehe die Snare-Drum den Auftakt zum ältesten Beat der Rockgeschichte schlägt: Bumm-tschak, bumm-bumm-tschak! So laut und dringlich hat man Distelmeyer seit den Anfangstagen von Blumfeld in den frühen 1990er Jahren nicht mehr gehört – sieht man von einer letzten, für einen Song eingelegten Phase des Aufbegehrens einmal ab, die mit "Die Diktatur Der Angepassten" aber auch schon wieder acht Jahre zurückliegt.
Zum anderen treibt der heute 42-Jährige hier ein scheinbar listiges Spiel, was die Deutbarkeit der Lyrics anbelangt. Zwar darf man den Song in Zeiten der Krise und damit verbundener Diskussionen um das Auseinanderklaffen der sozialen Schere durchaus als gesellschafts-politisch motiviert betrachten: "Kennst du die Reichen und Mächtigen/ Lass ihre Wagen brennen/ Sie haben weder Respekt noch Angst vor uns/ Also wohin mit dem Hass?"
Neid, Hohn und Spott
Aber Distelmeyer lenkt das Augenmerk im Weiteren auch auf die eigene Vita, beziehungsweise die Rezeptionsgeschichte seiner musikalischen Vergangenheit. Schließlich wurde der Mann mit der Samtstimme zunächst als größte Hoffnung der deutschen Rockgeschichte seit Rio Reiser gefeiert, ehe Blumfeld mit "Old Nobody" 1999 die Weichen in Richtung Schlager stellten, um letztlich bei Boogie-Rhythmen und kinderliedartigen Abzählreimen zum Thema Tiere zu landen und den Apfelmann zu besingen. Die Damen und Herren vom Feuilleton waren nicht begeistert und zogen erzürnt über den verloren gegangen Sohn her.
Die Diskussion drehte sich um Verspießerungs-Tendenzen und den Rückzug ins Private, aber auch darum, wie viele beschwingte Dur-Akkorde Popmusik überhaupt zu vertragen imstande ist. Doris Knecht konstatierte im "profil": "Um es reflexionsschraubenfrei zu sagen: ‚Verbotene Früchte‘ ist nicht nur das schrecklichste Blumfeld-Album ever, es ist vielleicht das schrecklichste deutschsprachige Album überhaupt, das Gesamtwerk von Heintje, Modern Talking und den Wildecker Herzbuben eingeschlossen."
Das mag mitschwingen, wenn im Pressetext zum nun vorliegenden Debütalbum Distelmeyers die polarisierende Wirkung Blumfelds angesprochen wird, oder der Barde seine Stimme kokett so erhebt: "Wohin mit dem Hass/ All dem Hohn und Spott/ Dem Neid mit dem ihr mich betrachtet?/ Alles was ihr wisst ich bin nicht wie ihr/ Und so wird es immer sein!"
Für insgesamt vier neue Lieder hat Distelmeyer die musikalische Gangart wieder verschärft. Vor allem der wuchtig von den Saiten gerissene Übersong "Hinter Der Musik" sei an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen. Der Rest könnte zwar auch von den späteren Blumfeld stammen, tatsächlich aber gehört das gesamte Album mit zum Besten, das der Sänger in seiner bisherigen Karriere veröffentlicht hat.
Textlich wie gewohnt überwiegend lebensbejahend eingestellt und dem Positiven verpflichtet, hören wir neben dem zum Einstieg mutig ohne Instrumentalbegleitung gereichten Stück "Regen" von Produzent Andreas Herbig perfekt in Szene gesetzten Gitarrenpop, wie etwa "Bleiben Oder Gehen", mit dem Distelmeyer seine exzellenten Qualitäten als Songwriter einmal mehr unterstreicht. Etwas, das ihm auch mit der Singleauskopplung "Lass Uns Liebe Sein" gelingt, einem mit Ehrfurcht gebietender Grandezza gefertigten Pop-Schlager, der selbst dem grimmigsten Misanthropen ein Lächeln ins Gesicht und Tanzbewegungen in den Restkörper zaubert. Und uns solchermaßen dazu bewegt, nicht mehr vorhanden geglaubte Glückshormone in rauen Mengen auszuschütten.
Dass manchem Skeptiker die eine oder andere Textzeile auch diesmal wieder schwer zusetzen wird – geschenkt: "Und ich, ich bin am Ziel/ Weiß was ich will und brauch nicht viel / Ich seh zu wie die Kinder spielen/ Und über uns den Zeppelin/ Ein Elephant als Luftballon/ Ich leb dafür und leb davon/ Am Ende ist es nur ein Song/ Und ich flieg davon/ Zu dir" .
Alle anderen sollten dank Liedern wie "Nur Mit Dir" oder "Jenfeld Mädchen", die sich in typischer Distelmeyer-Manier als Soundtrack für die gefühlsduselige Pralinenwerbung bestens eigneten, mehr als glücklich sein: Merci, dass es dich gibt!
Jochen Distelmeyer: Heavy. (Columbia/Sony)
(Wiener Zeitung, 17./18.10.2009)
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