Freitag, Oktober 23, 2009

Weil der Mensch ein Mensch ist

The More Or The Less: We, The People (Lindo/Hoanzl)

Warum die Verhältnisse sind, wie sie sind, erklärt der Salzburger Singer/Songwriter Tobias Pötzelsberger alias The More Or The Less frei nach Bert Brecht folgendermaßen: Weil der Mensch ein Mensch ist. Auf seinem erstaunlich ausgereiften Debütalbum "We, The People", das dieser Tage auf dem Wiener Kleinlabel Lindo erscheint und über Hoanzl national vertrieben wird, entwirft Pötzelsberger ein Stimmungsbild, dem es an großen Gefühlen nicht mangelt.

Der Grund dafür dürfte neben der grundsätzlichen Gemütslage des 26-Jährigen ("Immer melancholisch, nie depressiv") auch in seinem Brotberuf liegen. Schließlich verdingt sich der Sänger als Chronik-Journalist beim ORF. Ein Verkehrsunfall früh morgens, eine "Familientragödie" zu Mittag – das prägt. Stories written by life .

Ebenso wie seine "Geschichten", wie der Reporter zu sagen pflegt, findet Pötzelsberger das Rohmaterial seiner Songs auf der Straße. Flüchtige Begegnungen in einer immer schneller und gleichgültiger werdenden Welt; Zueinanderfinden und Abschied nehmen; aufgeben und weitermachen – es ist die Dialektik des Alltags, aus der The More Or The Less herzergreifend schöne wie berührende, sprich bevorzugt auf den sentimentalen Deppen in uns zielende Songs im Graubereich zwischen Folk und Pop formt.

Wenn die auf Dauer durchgehaltene Sanftmut im Vortrag auch den Verdacht aufkommen lassen mag, dass man es hier eventuell mit – Vorsicht! – "Mädchenmusik" zu tun haben könnte – egal.

Pötzelsberger, zu dessen ewigen Idolen die Beatles gehören – ein Umstand, der sich vor allem in der wohligen Harmoniesucht seiner Songs niederschlägt –, erinnert mit überwiegend auf seine Lagerfeuerklampfe konzentrierten Kompositionen, die von seufzenden Chören ebenso behübscht werden wie von Klaviermotiven, Streichern, Akkordeon oder den wärmenden Klängen eines Fender Rhodes, nicht zuletzt an die schaurig-traurige Liedkunst des viel zu früh verstorbenen US-Songwriters Elliott Smith. Album-Highlights wie "Ms Anderson" oder "I Let You Go" stammen aus dieser Ecke. Mit dem Refrain von "As Seen By The Things" rückt The More Or The Less, live übrigens eine mehrköpfige Band, vorsichtig in Richtung Neo-Folk. Das würde auch einem bärtigen Kauz wie Sam Beam alias Iron & Wine gut zu Gesicht stehen.

Dass Pötzelsbergers zweite private Obsession ausgerechnet den pöbelnden Gallagher-Brüdern gilt, kann man angesichts der introspektiven Schreibe seines Musiker-Ichs kaum glauben. Immerhin führt der Sänger gemeinsam mit einer Abordnung der Salzburger Freunde von The Seesaw die Oasis-Coverband "Wosis".

Davon ist bei The More Or The Less zum Glück nichts zu bemerken. Hymnische Gefühligkeit. Leise ist das neue Leise. Kurz: Hier findet die ohnehin in voller Blüte stehende Singer-Songwriter-Szene des Landes einen neuen, würdigen Vertreter.

(Wiener Zeitung. 24./25.10.2009)

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