Jochen Distelmeyer über Hass, das Positive und sein Selbstverständnis als Solokünstler
"Wiener Zeitung": Ein Schlüsselsong auf Ihrem ersten Soloalbum heißt "Wohin mit dem Hass?" Ist das Ihr persönlicher Song zur Krise?
Jochen Distelmeyer: Nein, nicht wirklich. Bei dem Stück ging es mir eher um den Hass als Gefühl, und weniger um die Verbindung dieses Gefühls zur politischen Großwetterlage.
Sie singen hier auch: "Kennst du die Reichen und Mächtigen? Lass ihre Wagen brennen!" Stichwort: Jugendkrawalle. Das schwingt dabei doch mit, oder?
Ja, das ist schon richtig. Als ich das Stück geschrieben habe, war das, was jetzt seit ein paar Monaten auch in Berlin und Hamburg wieder gehäuft passiert, in diesem Maße vielleicht so noch nicht abzusehen. Und ich fand es eigentlich recht bemerkenswert, wie zivilisiert es angesichts der gesellschaftlichen Drucksituation noch zuging. Vielleicht sind die Leute zivilisierter als die Regierungen, die sie regieren?
Primär war es bei diesem Lied aber entscheidend, anzusehen und darzustellen, dass sich dieses Hassgefühl nicht bewältigen oder überwinden lässt durch gewaltsame Ausschreitungen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht ein historisch probates Mittel zur politischen Artikulation sind. Aber ich rufe nicht dazu auf.
Hass hat als Thema in Ihrem Schaffen bisher eigentlich keine große Rolle gespielt.
Weiß ich nicht. Ich mein, es gibt ja auch, Zorn, Empörung und Wut. Das hab ich auch immer schon empfunden, und ich hab immer schon davon gesungen. Wenn es auch nicht mein primäres Gefühl zur Welt ist. Aber das gibt es, und das hab ich immer auch versucht, anzuerkennen.
Dennoch scheint Ihnen das Positive als Künstler näher zu sein.
Nicht nur als Künstler, vor allem auch als Mensch ist mir das Positive näher. Das liegt in der Natur der Sache. Ich finde das Positive eigentlich immer ganz gut.
Konkret: "Lass uns Liebe sein", Ihre erste Solo-Single, ist doch die Lied gewordene Lebensbejahung. Der Song gibt Kraft, wie auch Blumfeld-Songs wie "Neuer Morgen" oder "Wir sind frei". Ist das eine angenehme Nebenwirkung oder bewusst intendiert?
Find ich gut, wenn das passiert, das ist doch schön!
Ich schreibe die Songs für mich, vielleicht für die Menschen, die mir sehr nahe stehen. Und wenn ich sie aufnehme und veröffentliche, dann möchte ich das mit mehr Menschen teilen. Und hoffe, dass denen das gefällt – und ihnen genauso Mut macht oder Kraft gibt, wie mir Lieder Mut gemacht oder Kraft gegeben haben, die ich gut fand. Aber das können auch traurige Lieder sein, die das machen. Das kommt eigentlich nur darauf an, wie entschieden man sich zu dem bekennt, wovon man da singt.
Sie singen auch: "Wohin mit dem Hass, all dem Hohn und Spott? Dem Neid, mit dem ihr mich betrachtet?" Angesichts der zum Teil auch beleidigenden Kritik, die Sie mit Blumfeld zuletzt einzustecken hatten – kokettieren Sie hier nicht auch damit, dass mit diesen Zeilen Ihre Widersacher konkret angesprochen sein könnten?
Ich kokettiere nicht damit. Aber das kann es natürlich auch heißen, klar!
Also nicht jede Kritik an dem, was ich mache oder gemacht habe, nehme ich als hasserfüllt wahr. Aber es gibt natürlich bestimmte Formen von Polemiken, wo es ganz offensichtlich ist, dass dahinter eher der verzweifelte Versuch steht, diese so von außen wahrgenommene Figur, die ich da vielleicht darstelle, zu treffen. Ich nehme das aber so oder so eher als Anerkennung meiner Arbeit wahr, weil die Tatsache, dass sich Leute in intensiver Art und Weise mit etwas auseinandersetzen in so einem Kulturfeld, ja nicht ganz selbstverständlich ist. Das ist schon ein Privileg. Von Bösartigkeiten darf man sich nicht beirren lassen.
Musikalisch haben Sie auf "Heavy" zumindest teilweise wieder zum Rock zurückgefunden. "Hinter der Musik" etwa klingt deutlich härter als alles, was auf den letzten Blumfeld-Alben zu hören war. Ein bewusster Befreiungsschlag?
Ich hatte nicht das Gefühl, mich von irgendetwas befreien zu müssen, habe für mich da weiter gemacht, wo ich aufgehört habe und die Lieder einfach kommen lassen. Und die waren halt da und es hat Spaß gemacht, sie zu spielen. Ich würde meinen, dass Lieder wie "Strobohobo" oder "Tics" auch noch dem Rock-Ding zuzuordnen waren – und live hatten wir ja immer auch älteres Material dabei, insoferne hat das mit dem Rock 'n' Roll ohnehin immer stattgefunden.
Im Großen und Ganzen steht "Heavy" in der Tradition von Blumfeld. .
Klar!
. . . wenn ich aber behaupte, Sie hätten das Album so auch mit Blumfeld einspielen können, werden Sie mir dennoch widersprechen?
Da widerspreche ich auf jeden Fall, ich glaube, das Album hätte es so nicht gegeben. Für mich war der Moment, die Band aufzulösen, nicht der Ausdruck einer Abkehr von etwas. Diese 16 Jahre sind für mich eine wundervolle, tolle und sehr, sehr wichtige Sache. Es hat Spaß gemacht. Es bestand für mich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl oder die Notwendigkeit, nicht da weiterzumachen, wo ich als Songschreiber aufgehört habe.
Trotzdem: Können Sie an etwas Konkretem festmachen, warum "Heavy" keine Blumfeld-Platte hätte werden können?
Weil sich mein Selbstverständnis als Musiker und Mensch auch durch die letzten Platten mit Blumfeld und die Zeit generell gewandelt hat. Und ich zu dem Zeitpunkt, als ich merkte, dass es richtig ist, das Kapitel Blumfeld zu beenden, registriert habe, dass ich woanders angekommen war. Als Typ mit meiner Sicht auf die Dinge oder die Welt und auf mich selber. Und ich von da an meinen Weg in dem Bekenntnis zu meinem Eigennamen alleine weitergehen wollte.
Ist das "Ich" auf der Platte eigentlich Jochen Distelmeyer?
Ja, klar, auch – logisch. Das sind Momentaufnahmen meiner Entwicklung.
Ich frage deshalb, weil Sie etwa in "Murmel" singen: "Und ich, ich bin am Ziel. Weiß was ich will und brauch nicht viel." Ich meine das nicht böse, aber dieser Satz könnte so auch von meinen Großeltern stammen. So quasi: Wir sind alt, und haben ja alles. Das klingt schon sehr "gesettled" und zufrieden.
Ich weiß schon, was Sie meinen. Aber diese Momente der absoluten Zufriedenheit gibt es nun mal, und das betrifft auch Menschen, die jünger sind als Ihre Großeltern – oder sogar als Sie und Ich. Aber das heißt ja nicht, dass das dann permanent so ist. Aber in dem Moment, von dem der Song handelt, ist es eben so. Eine Momentaufnahme, die vielleicht in einem Grundgefühl verwurzelt ist.
Würden Sie meinen, dass Sie über die Jahre gelassener geworden sind?
Was manche Dinge betrifft, bestimmt. Aber das geht, glaub ich, mit dem Alter und ist ganz normal. Bei manchen Sachen bin ich noch immer alles andere als gelassen und entspannt.
Wie zum Beispiel bei …?
Ungerechtigkeit, mangelndem Anstand. Da hat ja jeder seine Punkte, die er nicht bereit ist hinzunehmen.
Aber das ist bei Ihnen heute ein privates Gefühl und mündet nicht in konkretes politisches Engagement – so wie früher, etwa mit den "Wohlfahrtsausschüssen".
Ja, das ist bei mir doch etwas in den Hintergrund getreten. Ich bin halt primär Musiker.
Nur nicht dem Bono-Syndrom zum Opfer fallen…?!
Ach, vielleicht bemüht der sich einfach! Ich seh da vielleicht viele Dinge anders, aber er bemüht sich halt auf eine Art, die herausgehobene Stellung, die er aufgrund seiner Popularität genießt, für andere Dinge zu nutzen. Wenn man etwas Gutes tun kann, dann sollte man natürlich auch Gutes tun.
Zur Person
Jochen Distelmeyer, 1967 in Bielefeld geboren, war von 1990 bis 2007 Sänger und Mastermind der deutschen Diskursrockband Blumfeld. Nach gefeierten Anfängen mit Alben wie "Ich-Maschine" oder "L'Etat et Moi" polarisierte die Band später mit eingängigem Gitarrenpop, der sich bisweilen nahe am Schlager bewegte – sowie mit Abzählreimen über "Tiere um uns" oder den "Apfelmann". Nach dem Ende von Blumfeld ist Distelmeyer nun als Solokünstler aktiv. Sein Debütalbum, "Heavy", erschien im Oktober dieses Jahres.
(Wiener Zeitung, 11.12.2009)
Freitag, Dezember 11, 2009
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