Donnerstag, Februar 11, 2010

Protestnoten und Watschen

Protestsongcontest im Rabenhof Theater

Wien. Wien ist die Welthauptstadt des Suderns, Jammerns, Grantelns und Raunzens – der tägliche Ausflug in den öffentlichen Raum beweist es mit Nachdruck. Stichwort: "Heast, bist deppad, du Fetznschädl?!" und "Ois oa . . .!"

Ortskundige erläutern: Dies und dergleichen mehr ist gemeint, wenn im Reiseführer euphemistisch die Rede ist vom liebenswerten "Wiener Charme". Folgerichtig kommt die schlimmstmögliche aller Beschimpfungen hierorts zahm daher. Sie versteckt sich hinter einem schelmischen Lächeln und lautet: "Alles Liebe!"

Dass der Hang zum Unmut aber auch Gutes gebiert, bewiesen neben den Gesamtwerken von Karl Kraus und Thomas Bernhard sowie der Einführung des Ombudsmanns im Kleinformat oder Barbara Stöckl in "Help TV" zuletzt auch die Studentenproteste. Und natürlich der Protestsongcontest, der seit 2004 mit lustvollen Widerständchen zum Aufbegehren lädt.

Die zur Erinnerung an den Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 1934 traditionell am 12. Februar abgehaltene und vom "Chor der Wiener ArbeiterInnen" feierlich eröffnete Veranstaltung thematisiert mit seinen zehn Kandidaten heuer rechte Tendenzen – sei es am Nachbarstisch im Stammwirtshaus, zwischen Vor- und Hauptstadt oder am politischen Parkett – ebenso wie Probleme mit dem Arbeitsamt, ein Dorf namens St. Pölten und Fiona Pacifico Griffini-Grassers Tipps zum Anbau von Gemüse. Dazwischen geht es um die Verweigerungshaltung als Prinzip im Sinne Jochen Distelmeyers und Blumfeld: "Es gibt kein müssen und kein sollen – wenn wir nicht wollen!" Wir hören Protestnoten als – freilich verbal verabreichte – Faustwatschen.

Die heuer um Peter Hein von den Fehlfarben erweiterte Jury (Doris Knecht, Martin Blumenau, Peter Paul Skrepek u. a.) darf sich zudem einmal mehr mit der Frage beschäftigen, wie dehnbar der Begriff des Protestsongs eigentlich ist. Immerhin tritt Binder & Krieglstein mit seiner Drahtesel-Hymne "Fahrradfahr’n ist schadstoffarm" eher für etwas ein, als etwas abzulehnen. Auch dafür gilt: Mit Widerstand ist zu rechnen.

(Wiener Zeitung, 12.2.2010)

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