Montag, April 12, 2010

Ein Freakout unter Freunden

Die famosen Hidden Cameras im Wiener WUK

Die Musik seiner Hidden Cameras charakterisierte Joel Gibb einst, augenzwinkernd, aber treffend, als "Gay Church Folk Music". Alleinstellungsmerkmal: "Awoo!", "We Oh We!" und "Doot Doot Doot!". Arbeitsmotto: Mehr Glockenspiel!

Seit seinem regulären Albumdebüt mit "The Smell Of Our Own" aus 2003 liefert das lose Kollektiv um Mastermind Gibb herzergreifende Indie-Hymnen zwischen orchestralem Schmelz mit bittersüßem Abgang und forsch dilettantischem Sturm und Drang, der mit kinderliedartiger Melodieseligkeit offene Türen einrennt. Und aufgrund seiner explizit (homo-)sexuellen Songtexte als Bachelor-Arbeit zum Thema "Körperflüssigkeiten etc." im englischsprachigen Radio einen eher schweren Stand hat. Neben Kollegen wie Arcade Fire, Broken Social Scene oder Stars gehörten die Hidden Cameras damit zur Speerspitze kanadischer Bands, die in Europa reüssierten. Nach drei Alben erschien ihr Konzept auf "Awoo" aus 2006 aber bereits etwas ausgereizt.

Dem Alltag ein Schnippchen schlagen

Den leichten Richtungswechsel, den die Band daher einschlug, erklärt der mittlerweile in Berlin ansässige Gibb im Wiener WUK schon eingangs mit "Origin:Orphan" vom gleichnamigen Album: Das Stück sei von Richard Wagners "Rheingold" inspiriert – nun ja. Der Pomp, der sich solchermaßen ins Werk eingeschlichen hat, wird auch später bei "Walk On" manifest, aus dessen Lärm-Türmen sich balkanhafte Bläsermotive ebenso schälen wie satt soulige Untertöne. Stücke wie "Underage" oder "The Little Bit" kokettieren in ihrer karikaturistischen Operettenhaftigkeit hingegen mit dem gespielten Witz. Passend dazu führt die heute zu neunt angerückte Band inklusive einem flotten Dreier aus Cello, Geige und Trompete choreografierte Tanzeinlagen auf und animiert das unter der Discokugel ins Glück taumelnde Publikum zu ähnlichem Schabernack.

Kurz: Nach vor allem live ästhetisch nahe am Sound des US-Tragöden Roy Orbison ("Running Scared") gebauten Stücken wie der verhatschten Soul-Ballade "Silence Can Be A Headline" oder dem wunderbaren "Boys of Melody" geht es bald nur mehr darum, im Rahmen eines groß angelegten Freakouts unter Freunden dem Alltag da draußen ein Schnippchen zu schlagen. Euphorie, Ausgelassenheit, unbändige Lebenslust bestimmen den Abend; ungestüm scheppernde Songs wie "Bboy", "Learning The Lie", "Ban Marriage" und die zum Abschied gereichte Coverversion des Ton-Steine-Scherben-Klassikers "Macht kaputt, was euch kaputt macht!" liefern den Soundtrack dazu und lassen keine Zweifel mehr:

Die Hidden Cameras sind die beste Party-Band der Welt. Sie sind das No Problem Orchestra des Indie-Pop. Das WUK tanzte!

(Wiener Zeitung, 13.4.2010)

Keine Kommentare: