Freitag, Mai 21, 2010

Abschied in die Frühpension

James Murphy ist der Mann hinter LCD Soundsystem. Aktuell sehnt sich der 40-Jährige nach der Pension. Widerstand!

Dass James Murphy von Selbstzweifeln geplagt wird, erfuhr man zuletzt auf YouTube. In einem der dort zur Verfügung gestellten Videoclips, die den Aufnahmeprozess zu "This Is Happening", dem dritten Album des besser als LCD Soundsystem bekannten US-Amerikaners dokumentieren sollten, bekannte der sympathische Tanzbär: "Eine Platte zu machen führt mich in eine tiefe Depression. Eine Depression, die passieren muss."

Es scheint nur ein schwacher Trost zu sein, dass der Musiker im Pool einer Villa im sonnigen Los Angeles planscht, während er über die Arbeit sinniert – man könnte sich schlechtere Produktionsstätten vorstellen als jenes Refugium, das Murphy als Studio nutzt. "Einerseits will ich sagen: Beruhige dich. Am Ende wird es okay sein. Aber dann ist da diese Stimme: Woher willst du das wissen?"

Am Ende ist es nun also nicht nur "okay" geworden. Für den wahrscheinlichen Fall, dass James Murphy, der vor kurzem seinen 40. Geburtstag feierte, nicht flunkert, wenn er sein neues Album als voraussichtlich letztes bezeichnet, weil er sich zu alt für das Leben eines, nun ja, Rockstars fühle, muss man von einer sehr guten Abschiedsplatte sprechen – auch wenn Murphy als vermutlicher Anführer der Popintelligenz einer namenlosen Dekade jene Nerds sanft enttäuschen mag, die sich den ultimativen Paukenschlag erwartet hatten, der Murphys bisheriges Schaffen hätte bündeln und multiplizieren sollen. Die Erwartungshaltung ist ein Hund, wie der beherzte Anti-Sänger auf einem neuen Song namens "One Touch" zu erzählen weiß, ohne damit freilich sich selbst zu meinen. "I don’t see how we could be pleased with this. We have been waiting for a long time. I recall the promises made to us. We’ve been patient such a long time."

Gitarren für die Clubs


Eine solche Erwartungshaltung muss man sich erst einmal erarbeiten. Der Self-Made Man, der auch auf "This Is Happening" wieder alle Instrumente im Alleingang spielte und für die Produktion verantwortlich zeichnet, tat dies in aller Ruhe und vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrung. Immerhin verdingte sich der vom Punk Kommende in den 80er und 90er Jahren in nicht weiter bekannt gewordenen Bands wie Falling Man und Pony oder, zum Broterwerb, als Toningenieur bei den Sub-Pop-Freunden Six Finger Satellite. Seine Erfolgsgeschichte begann schließlich Ende der 90er Jahre, als Murphy in New York auf Tim Goldsworthy traf, in dem er seinen "Partner in Crime" finden sollte. Die beiden bildeten ein Produktions-Team und gründeten ihr eigenes Label: DFA Records waren geboren, der Rest ist Geschichte.

Im Fahrwasser ihres ersten Signings, der wunderbaren The Rapture, die wüste Gitarren zu freudigen Dance-Beats reichten, um mit der Kuhglocke die Clubs zu erobern, bastelte Murphy als LCD Soundsystem ab 2002 mit vereinzelten Single-Veröffentlichungen und drei Jahre später auf seinem selbstbetitelten Debütalbum eine schwer groovende Mischung aus Song und Track sowie Pop-Appeal und Punk-Gestus, die man als Dance-Rock bezeichnen durfte. Zu den wahlweise am Drum-Computer programmierten oder mit echtem Schlagzeug eingespielten Beats hatten die Gitarren den Funk, wenn sie sich nicht gerade gröber austobten.

Die Einflüsse reichten von Kraftwerk über Brian Eno bis hin zu den Talking Heads – und vielen mehr: Murphy, der bereits mit seiner Debüt-Single "Losing My Edge" den allwissenden Pop-Nerd mimte, ließ sein eigenes Universum mit satten Referenzen kollidieren. Auf seinem Zweitling, dem 2007 nachgeschobenen "Sound Of Silver", verschärfte er sein Profil als Songwriter und verfestigte sich etwa mit "All My Friends" bis über das Ende seines Projektes hinaus im Pop-Kanon nicht nur der Nullerjahre.

Nachdem Murphy sich zuletzt um den Soundtrack zu Noah Baumbachs Film "Greenberg" (mit Ben Stiller in der Hauptrolle) kümmerte, ist "This Is Happening" die logische Konsequenz aus den beiden Vorgängeralben. Ohne die Vorgabe, sich groß weiterentwickeln oder gar neu erfinden zu müssen, bleibt Murphy mit bis zu neunminütigen "Songs" dabei weitestgehend radioinkompatibel, um dem Text von "You Wanted A Hit" auch gerecht zu werden: "You wanted a hit. But maybe we don’t do hits. I try and I try. It ends up feeling kind of wrong."

David Bowie revisited


Nur die erste Single-Auskopplung hält sich knapp. Das pöbelnde "Drunk Girls" erinnert sanft an David Bowies Hadern "Boys Keep Swinging", während Bowies Jahrhundertsong "Heroes" für "All I Want" Pate stehen musste. Sehnsüchtig und besoffen schleppt sich "Somebody’s Calling Me" dahin, während Murphy die sperrige Funk-Studie "Pow Pow" mit reichlich Elektronik abrundet. Sein glückliches Händchen für dramaturgische Songgestaltung beweist er vor allem mit dem eröffnenden "Dance Yrself Clean", dessen mitreißender Groove erst nach gut dreiminütiger Aufbauarbeit einsetzt.

Wenn nach einer guten Stunde der letzte Ton verklungen ist, stellt sich also nur eine Frage: Wer überredet James Murphy, doch noch weiterzumachen? Und wo bleibt der notwendige Facebook-Aktivismus, wenn man ihn einmal braucht?
LCD Soundsystem: This Is Happening (EMI)

(Wiener Zeitung, 22./23./24.4.2010)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"This is happening" von LCD Soundsystem ist diese Woche eins der Items of the week bei Sounds-like-me. Schaut sie euch an, sind immer coole Produkte dabei: http://www.sounds-like-me.com/news/items-of-the-week-2/