Mittwoch, Juni 23, 2010

Der Tod ist längst nicht das Ende

Vor einem Jahr starb Michael Jackson, seither wird sein Erbe verwertet – und das mit wechselndem Erfolg

Knapp vier Monate waren seit dem Tod Michael Jacksons vergangen, als der Vater des Pop-Superstars im Oktober des Vorjahres mit einer Wortmeldung aufhorchen ließ. Joe Jackson, bekannt auch dafür, seinen Sohn von Kindheit an zum Erfolg geprügelt zu haben, konstatierte in einem Interview mit dem US-Sender "Extra": "Tot ist Michael mehr wert als lebendig." Nachsatz, immerhin: "Lebendig wäre er mir lieber."

Was vor allem aus dem Munde eines Vaters zynisch erscheint, trifft allerdings den Nagel auf den Kopf. Schließlich hatte es der einstige "King of Pop" tatsächlich geschafft, eine als unkaputtbar zu bezeichnende Weltkarriere über die Jahre hinweg brutal gegen die Wand zu fahren. Nach Vorwürfen des Kindesmissbrauches, zunehmend bizarren öffentlichen Auftritten und kolportierter Totalverschuldung war es um Michael Jackson schlecht bestellt. Sein letztes Album ("Invincible") datierte bereits auf das Jahr 2001 zurück und war für ihn, dessen Album "Thriller" mit Dutzenden Millionen verkauften Einheiten als erfolgreichstes aller Zeiten gilt, verhältnismäßig ein Totalflop. Auch eingedenk der Tatsache, dass die Produktion der Arbeit bis zu 30 Millionen US-Dollar verschlungen haben soll – und sich Jacksons Plattenfirma Sony nach den mäßig erfolgreichen Singleauskopplungen "You Rock My World" und "Cry" dazu entschloss, keine weiteren Etats anzugreifen und die Vermarktung des Albums ganz einzustellen.

Michael Jackson sollte also noch einmal auf die Bühne gestellt werden, um sich in Zeiten der Tonträger-Krise über den Livesektor sowohl finanziell als auch in seiner Rolle als Popstar zu rehabilitieren. Rund 50 unter dem Motto "This Is It" für die O2-Arena in London anberaumte Konzerte waren zwar rasch ausverkauft. Dass aber niemand mehr so recht an ein Comeback glauben mochte, wurde durch Meldungen über Probleme bei der Ausfallversicherung ebenso untermauert wie durch britische Buchmacher, die Wetten mit einer Quote von eins zu fünf gegen eine Rückkehr des Sängers annahmen. Sie sollten recht behalten: Am 25. Juni 2009 verstarb Michael Jackson nach einem Herzstillstand, verursacht durch eine Überdosis des Narkotikums Propofol.

Dass Joe Jacksons Einschätzung stimmte, sollte sich nun binnen Stunden bestätigen: Zehn Jackson-Alben führten die Bestsellerlisten des Onlinehändlers Amazon bereits am Tag nach dessen Tod an; über die kollektive Gedächtnisstimmung und die zu einem weltweiten TV-Ereignis hochgeschraubte Trauerfeier im Staples Center, Los Angeles, mit 31 Millionen Zusehern allein in den USA, wurde dem Sänger jene Aufmerksamkeit zuteil, die ihm in seinen letzten Lebensjahren verwehrt geblieben ist – von Negativschlagzeilen einmal abgesehen.

Nachlass-Verwertung

Das Ergebnis: Jackson, der zu Lebzeiten noch rund 19 Millionen US-Dollar jährlich aus dem Verkauf seiner Platten verdiente, setzte allein bis Jahresende 31 Millionen Alben ab und rief seine einst verstimmte Plattenfirma auf den Plan. Nicht nur in Krisenzeiten unvorstellbare 200 Millionen US-Dollar ließ sich Sony den neuen Plattenvertrag kosten, der zehn Veröffentlichungen aus neuem Material und Resteverwertung in Kompilationsform bis ins Jahr 2017 sicherstellen sollte. Zum Vergleich: Der 2002, also in wirtschaftlich noch besseren Tagen, abgeschlossene "Rekord-Deal" zwischen EMI und Robbie Williams belief sich auf 127 Millionen Euro.

Was von den unveröffentlichten Jackson-Songs erwartet werden kann, ist derzeit Gegenstand von Spekulationen. Ein neues Album wurde für November dieses Jahres angekündigt, doch bereits die im Vorjahr erschienene Ballade "This Is It", die im Jahr 1983 gemeinsam mit dem kanadischen Sänger und Songwriter Paul Anka entstand, erwies sich als im besten Falle durchschnittlich. Eine fragmentarische Zusammenarbeit mit Lenny Kravitz ("Another Day") gelangte hingegen über ungeklärte Wege ins Internet und macht seither auf Youtube die Runde.

Für Sony scheint der tote Michael Jackson jedenfalls eine Bank zu sein – und im Trend zu mit reichlich Zusatzmaterial veredelten "Re-Releases" ein gefundenes Fressen. Mit einer nur als mutlos zu bezeichnenden Veröffentlichungspolitik sicherten sich die Major-Labels zuletzt über neu editierte Versionen von ewigen Dauerbrennern der Beatles & Co ihre Renditen ab. Und wenn einmal gar nichts mehr geht, besteht bekanntlich noch immer die Möglichkeit, alte Hadern durch Trend-DJs remixen und die Charts stürmen zu lassen: siehe dazu Elvis Presleys 2002er-Hit "A Little Less Conversation" oder Bob Dylans "Most Likely You Go Your Way (And I’ll Go Mine)", das durch einen Remix von Mark Ronson im Jahr 2007 reüssierte.

Von Top bis Flop

Die Geschäfte mit dem toten Popstar florieren in den unterschiedlichsten Zweigen. Wer ein Stück vom großen Kuchen haben kann, greift zu. Während die "This Is It"-Konzertreihe also nicht mehr stattfinden konnte, wurden die Probenarbeiten dazu für den gleichnamigen Film verwertet. Die Musikdokumentation, die einen erstaunlich konzentrierten Jackson bei der Arbeit zeigte, spielte an den Kinokassen weltweit 260 Millionen US-Dollar ein. Und auch der von Jackson selbst abgesegneten Sing- und Tanzshow "Thriller – live!", die heuer auch in Österreich gastierte, war auf einer Tour durch Europa reichlich Publikum beschieden.

Dazu kommen Erlöse aus Versteigerungen, neue Bildbände und Biografien (unter anderen "Der Thriller um Michael Jackson", Hannibal, Juni 2010) oder eine Ausstellung im Tower-Museum Tokio, die mit 280 Erinnerungsstücken wie etwa dem "Lieblings-Rolls-Royce" des Sängers punkten will: nun ja. Lukrativ erscheinen Überlegungen, Jacksons märchengleiche Neverland Ranch als Museum fortzuführen und sie nach dem Vorbild von "Graceland" für den Tourismus zu öffnen. Der ehemalige Wohnsitz Elvis Presleys lockt jährlich 600.000 Fans nach Memphis, Tennessee.

Dass man es mit dem Nepp aber auch übertreiben kann, bewies die Posse um die abgesagten Tribute-Nights in Wien und London. Als zuletzt eine ähnliche Veranstaltung in Rom gestrichen wurde, für die nur 3500 von 77.000 Tickets verkauft werden konnten, zeigten sich die Organisatoren verstimmt: "Wir wollten mit diesem Tribute-Konzert Michael würdigen, doch die Antwort des italienischen Publikums hat uns nicht befriedigt. Nur wenig wahre Fans haben den Sinn dieser Initiative zu Ehren des Pop-Königs begriffen." Ähnliches hatte zuvor bereits Georg Kindel, mitverantwortlich für das Wien-Desaster, behauptet: "Das einzige Land, das offenbar nicht kapiert, was ein Michael-Jackson-Tribute bedeutet, ist Österreich." Ein kapitaler Irrtum, letztlich.

Jacksons Todestag im TV

(a.r.) Was zu erwarten ist, wenn sich die TV-Stationen dem ersten Todestag Michael Jacksons widmen, gab ausgerechnet das ZDF vor: Die dort ausgestrahlte Dokumentation "Michael Jackson – King of Pop" stellte die Vorzeichen bereits auf Belangsfernsehen. Markus Lanz flog mit dem Helikopter durch Los Angeles und stattete der Neverland Ranch seinen Besuch ab. Weggefährten durften im Interview noch einmal die Herrlichkeit Jackos preisen und alle Bedenken zerstreuen. "Ich würde ihn beschreiben als herzensguten Menschen, der immer nur das Beste wollte", gab Oscar-Gewinner Arthur Cohn seine Sicht der Dinge zu Protokoll.

Der ORF zieht mit einer "orf.music.night.spezial" nach: In der Nacht auf Freitag (ab 0.20 Uhr) läuft Rudi Dolezals Dokumentation "Michael Jackson", die etwa den ehemaligen Tourmanager, Marcel Avram, und den deutschen Journalisten Tobias Rapp zu Wort kommen lässt. Parallel dazu zeigt ZDF einen Mitschnitt des München-Konzerts von Jacksons "HIS t ory Tour" (1997).

Als erster deutschsprachiger Sender konnte sich Pro7 die Rechte für "This Is It" sichern. Die Kinodokumentation wird am heutigen Donnerstag zur Prime Time ausgestrahlt, gefolgt von einem "Focus-TV spezial: Die letzten Tage im Leben des King of Pop" sowie Ian Halperins Film "Michael Jackson – Eine Legende geht". Am Todestag selbst bringt RTL wiederum "100 Prozent Michael Jackson" (ab 23.15 Uhr), 3sat spielt in der Nacht auf Samstag (ab 0.35 Uhr) diverse Musikvideos ab.

(Wiener Zeitung, 24.6.2010)

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