Das FM4-Frequency-Festival startete am Donnerstag in seine zehnte Saison – und gefiel vor allem untertags
St. Pölten. Nicht alles am FM4-Frequency-Festival ist schlecht. Wer sich auf dem charmefreien Gelände des VAZ St. Pölten erfolgreich an olfaktorischen Ärgernissen wie "Asia Gourmet" oder "Knobi & Brot" und deren Altfettangeboten sowie an den Freiluftpissoirs vorbeibewegt, wird mitunter belohnt.
"Mitunter", weil es sich auch heuer wieder als mühsam erweist, Menschen mit Schildern wie "Willst du mich heiraten?" zu erklären, dass man nicht einmal mit ihnen schmusen mag. Nein, kleiner Junge, ich will mich wegen dir nicht strafbar machen! Zumindest aber die Brauerei Zipf sorgt mit Bierpreisen von vier Euro und dem Mysterium der leeren Schankbudel für Unterhaltung.
Für das Programm gilt: Am Eröffnungstag seiner zehnten Saison hat das Aushängeschild der österreichischen Festivallandschaft es nicht zustande gebracht, einen anständigen Headliner nach St. Pölten zu bringen. Während sich Muse mit zuletzt an Queen angelehntem Pomprock durch ihr Konzert böllern, konnte man auch den sympathischen Hamburger Nasalsänger Jan Delay und dessen Soulsause schon mehrmals erleben. Sein groovezentrierter Auftritt mag den Abend mit Style und Stil zwar angenehm ausklingen lassen, aber: Wo ist frisches Blut, wo ist das Neue im Angebot?
Man muss sich also vor allem untertags umsehen und dort zwischen jeder Menge Allerweltsmusik nach dem Guten suchen. Bereits am frühen Nachmittag bringt Konstantin Gropper alias Get Well Soon seinen nahe an Arcade Fire oder Beirut gebauten Indie-Pop auf die Bühne und gefällt dabei nicht nur als Barde im Sonntagsanzug. Im Anschluss ist mit Peaches auch schon der Höhepunkt des Tages erreicht.
Punk und Unschuldslieder
Die 1968 als Merrill Beth Nisker in Toronto geborene Musikerin darf als treibende Kraft des Electroclash bezeichnet werden. Mit Alben wie "Fatherfucker" oder "Impeach My Bush", die geschlechterspezifische Rollenmuster aufnahmen und umkehrten, gilt die Wahlberlinerin zudem als feministisches Pop-Aushängeschild. Im Konzert attackieren ihre Musiker als Fetischsklaven und Freunde des Pornobarts zunächst mit wuchtigen Bässen, ehe Peaches, einer Verletzung wegen im Rollstuhl sitzend, von einer nackten Krankenschwester auf die Bühne geschoben wird. Die Krankenschwester erweist sich als Shemale, die vor allem einen Songtitel sehr ernst nimmt. Er lautet: "Shake Yer Dix!"
Mit konsequent für den Dancefloor entworfenen Songs wie "Show Stopper", "Mud", "More" oder "Fuck The Pain Away" geht es zwischen Metal-Versatzstücken, hormonell verdächtigem R’n’B und aggressivem Elektro darum, die Menge mit viel Humor aufzumischen. Peaches bespuckt die ersten Reihen mit Bierfontänen, der mit Publikumsbeobachtung beauftragte Security verweigert den Dienst. Die Frau hat einen Zumpf, Oida?! Peaches live: Mehr Punk ist im Jahr 2010 nicht mehr möglich.
Nicht weniger tanzbar, aber züchtiger geht es bei Hot Chip zu – den Liedern der Band wohnt eine gewisse Unschuld inne, die Alexis Taylor mit seinem zarten Diskant unterstreicht. Seit ihrem Debüt im Jahr 2004 kennt und schätzt man die aus London stammende Formation für ein schillerndes Stilamalgam, das spinnerte Popsongs mit Einflüssen aus zahlreichen Genres zusammen bringt. Zur Meisterschaft gebracht wurde dieses Konzept auf Alben wie "The Warning" oder "Made In The Dark", auf denen die Band konzises Songwriting mit Soul und Funk auflud und es um kantige Beatspiele und die Mechanismen der Club-Elektronik erweiterte. Vor allem Letztere spielt im Konzert eine gewichtige Rolle und wird auch tatsächlich live dargebracht – eine Seltenheit im Fach. So werden Perlen wie "Boy From School" und "Ready For The Floor" durch technoide Vierviertel-Beats verknüpft, was dem Konzert den Charakter eines klug aufgebauten DJ-Sets verleiht.
Eine dezidiert retroschicke Spielart des Synthie-Pop bietet später La Roux. Deren an Depeche Mode im Jahre 1980 oder Yazoo angelehnte Songs mögen zunächst klingen, als würden Kermit der Frosch und Bernd das Brot nach einer Überdosis Crack die Titelmelodie fürs Kinderfernsehen aufnehmen. Tatsächlich verstecken sich hinter diesem naiv-quengelnden Sound mit "Growing Pains", "Colourless Colour" oder "Fascination" einige Leckerbissen. Vor allem aber auch eine Coverversion des Rolling-Stones-Hadern "Under My Thumb" sei hier nicht unerwähnt.
The Drums wiederum geben ihr zwischen unterkühlter New Wave und wärmendem Surfrock sowie Hoch und Tief unentschlossenes Œuvre live härter, britischer, souverän überheblich und womöglich ein wenig zu ironisch zum Besten. Für die Nacht hat die Band ein Motto dabei: "I need fun, fun fun.. ." Schließlich muss es im Nightpark noch bis früh morgens weitergehen. St. Pölten never sleeps – zumindest an drei Tagen im August.
(Wiener Zeitung, 21./22.2010)
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